BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2007 –3 C 18.06

Gegenstand des Urteils ist der besondere Fall, daß eine Bodenreformmaßnahme im Einzelfall nachweislich von der sowjetischen Besatzungsmacht untersagt war und deshalb nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG nicht als auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage beruhend angesehen werden konnte. Der geltend gemachte Anspruch auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung konnte deshalb nur abgelehnt werden, wenn die eingeleiteten Maßnahmen der deutschen Organe in der SBZ keinen Akt der politischen Verfolgung i.S.v.§ 1 Abs. 2 VwRehaG darstellte und wenn dem Vermögensgesetz für diesen Fall nach § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG kein Vorrang vor dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zukommt.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Dieter Kley, Vorsitzender Richter am BVerwG
Dr. Sebastian Dette, Richter am BVerwG
Hans Jürgen van Schewick, Richter am BVerwG
Stefan Liebler, Richter am BVerwG
Prof. Dr. Klaus Rennert, Richter am BVerwG 

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Gegenstand des Urteils ist der besondere Fall, daß eine Bodenreformmaßnahme im Einzelfall nachweislich von der sowjetischen Besatzungsmacht untersagt war und deshalb nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG nicht als auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage beruhend angesehen werden konnte. Der geltend gemachte Anspruch auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung konnte deshalb nur abgelehnt werden, wenn die eingeleiteten Maßnahmen der deutschen Organe in der SBZ keinen Akt der politischen Verfolgung i.S.v.§ 1 Abs. 2 VwRehaG darstellte und wenn dem Vermögensgesetz für diesen Fall nach § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG kein Vorrang vor dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zukommt.

In seinem Urteil vom 28. Februar 2007 legt der 3. Senat des BVerwG dar, weshalb er annimmt, die sog. Demokratische Bodenreform sei jedenfalls dann keine politische Verfolgung, wenn sie Personen mit einem Hof in Größe von mehr als 100 ha betroffen hat. Ihnen sei seinerzeit keine persönliche Sanktion zugefügt worden. Dies ergebe sich daraus, daß die maßgeblichen Bodenreformverordnungen an die Größe des jeweils enteigneten Hofs und nicht an ein Fehlverhalten der Betroffenen angeknüpft hätten. Im übrigen habe die Bodenreform der Verteilung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen an landarme Bauern und Flüchtlinge aus den Ostgebieten gedient.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

In diesem Urteil bestimmt der Senat das gesetzliche Merkmal der politischen Verfolgung i.S.v. § 1 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwRehaG entgegen der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG sowie ohne jede rechtliche Absicherung in sinnwidriger Weise. Dazu verwertet es die Tatsachen der Verfolgung bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals nur selektiv verwertet und zeichnet damit ein Zerrbild der Unrechtsakte.

Die Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung ist jedenfalls durch die Genfer Flüchtlingskonvention vorgegeben und umfaßt nach ständiger Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG sämtliche Verfolgungsmaßnahmen, die ein Staat wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität oder sozialen Gruppe oder wegen einer politischen Überzeugung ergreift. Selbst diese Aufzählung ist nur beispielhaft. Zur Bestimmung der politischen Verfolgung hat das BVerwG früher auf die Motivationslage des Verfolgerstaates abgestellt, während das BVerfG in ständiger Rechtsprechung – zutreffend – auf die objektiven an äußeren Merkmalen erkennbare Gerichtetheit der Maßnahme abstellt. Der Begriff der politischen Verfolgung spiegelt dabei insbesondere die Verfolgungs- und Vertreibungsschicksale des vergangenen Jahrhunderts wieder. Der Senat geht auf diesen Prüfungsmaßstab jedoch nicht ein, sondern verneint die politische Verfolgung, weil die „Bodenreform“ der Bodenneuordnung gedient habe, ohne eine Sanktion für die Betroffenen dargestellt zu haben, und weil die Bodenreformverordnungen auf die Größe des Hofes, nicht aber auf die Personen abgestellt habe.

Es ist zwar zutreffend, daß die Bodenreformverordnungen auf die Größe der Höfe abgestellt und angegeben haben, sie dienten der Bodenneuordnung. Bei der nach objektiven Merkmalen erforderlichen Bestimmung der politischen Verfolgung läßt sich aber nicht nur auf die Angaben des Verfolgerstaates abstellen. Vielmehr muß der objektive Charakter der Maßnahme in den Blick genommen werden. Insofern mißachtet der 3. Senat des BVerwG die tatsächlichen Zusammenhänge der im Rahmen der „Bodenreform“ verübten Unrechtsmaßnahmen, weil er sie auf eine bloße Bodenneuordnung und den mit der „Bodenreform“ gegen „Junker“, „Feudalherren“ und „Großgrundbesitzer“ mit dem schlichten Hinweis darauf negiert, die Bodenreformverordnungen hätten (allein) an die Größe der „enteigneten“ Bodenflächen angeknüpft. Dabei steht außer Frage, daß die damaligen Machthaber mit der Bodengröße lediglich die zu verfolgende Personengruppe bestimmt haben.

Sogar nach dem eindeutigen Wortlaut der Bodenreformverordnungen steht aber außer Frage, daß es der kommunistischen Führung bei der „Bodenreform“ primär um die gesellschaftliche und wirtschaftliche „Ausrottung“, „Vernichtung“ und Kaltstellung der verfolgten Personengruppe ging. Dazu schreiben die Bodenreformverordnungen bereits in der Präambel von den Forderungen nach „Liquidierung des feudalen und junkerlichen Grundbesitzes“. In Art. I der Bodenreformverordnungen heißt es dann: „Die Bodenreform muß die Liquidierung der feudalen junkerlichen Großgrundbesitzer gewährleisten und der Herrschaft der Junker und Großgrundbesitzer im Dorf ein Ende bereiten, weil diese Herrschaft immer eine Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande darstellte und eine der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker war.“ Die Bodenreformverordnungen lassen also nicht den geringsten Zweifel daran, daß Ziel der kommunistischen Machthaber die gezielte persönliche Verfolgung der „Junker“ und „Feudalherren“ war. Die Bodenumverteilung war dagegen lediglich ein Nebeneffekt, den die Kommunisten ohnehin nie ernsthaft betrieben haben, weil – entgegen den Ankündigungen in den Bodenreformverordnungen – keinem Neusiedler Privateigentum übertragen wurde und die als sog. Arbeitseigentum überlassenen Bodenflächen bewußt nur so klein bemessen waren, daß sie wirtschaftlich nicht bearbeitet werden konnten, weshalb die Neubauern schon kurze Zeit später in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gezwungen wurden.

Die Annahme des 3. Senats des BVerwG, die Bodenreform habe nicht der politischen Verfolgung gedient, steht im übrigen in offenkundigem Widerspruch zu anderen Entscheidungen desselben Senats, in denen er ausdrücklich den politischen Verfolgungscharakter der Bodenreform auch in Fällen von Höfen über 100 ha bejaht (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 21. Februar 2002 – 3 C 16.01).

Daß der Senat diese Vorgaben der Bodenreformverordnung bei seiner Prüfung der politischen Verfolgung außer acht läßt, obgleich sie offen zutage liegen, ist ebenso unverzeihlich wie der Umstand, daß er in seiner Prüfung mit nicht einem Wort die weiteren gegen die Verfolgten ergriffenen Maßnahme etwa der Vertreibung, der Internierung, der systematischen Erzeugung einer Pogromstimmung, der Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, der Ausbürgerung oder der Registrierung als Kriegs- und Naziverbrecher erwähnt, obgleich auch gerade dadurch der Charakter der Bodenreform als politische Verfolgungsaktion begründet wird. Damit hat der Senat das tatsächlich verübte Unrecht verharmlost.

OLG Dresden, Beschluß vom 18. September 2020 –1 Reha Ws 26/19

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag der sächsischen Präsidialkommission, mit dem dem verfolgten Unternehmen zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Dieser Vorschlag ist durch einen im Umlaufverfahren von den Mitgliedern des sächsischen Gesamtministeriums (Regierungskabinett) gefaßten Beschluß bestätigt worden.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Karin Schröder, Vorsitzende Richterin am OLG
Peter Frey, Richter am OLG
Beate Horlacher, Richterin am OLG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag der sächsischen Präsidialkommission, mit dem dem verfolgten Unternehmen zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Dieser Vorschlag ist durch einen im Umlaufverfahren von den Mitgliedern des sächsischen Gesamtministeriums (Regierungskabinett) gefaßten Beschluß bestätigt worden.

Die strafrechtliche Rehabilitierung des Betroffenen hat das LG Dresden mit Beschluß vom 24. August 2009 abgelehnt und hat die im wesentlichen damit begründet, die Maßnahmen seien auf den SMAD-Befehl Nr. 124 gestützt gewesen, der nicht strafrechtlicher Natur i.S.v. § 1 Abs. 5 StrRehaG gewesen sei. Außerdem sei eine strafrechtliche Rehabilitierung von Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage aufgrund der Vereinbarungen in Ziff. 1 der Gemeinsamen Erklärung und nach § 1 Abs. 8 lit. a VermG ausgeschlossen.

In seinem die Beschwerde zurückweisenden Beschluß vom 26. November 2010 hat es der Rehabilitierungssenat des OLG Dresden offengelassen, ob Rechtsgrundlage der Maßnahmen der SMAD-Befehl Nr. 124 oder die Richtlinien zum Volksentscheid (gemeint sind die Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes gewesen sei. Jedenfalls seien auch die Richtlinien kein Strafgesetz gewesen. Sie hätten keinem Strafzweck, sondern der Friedenssicherung gedient. Auch soweit das Kommuniqué der Landesverwaltung Sachsen die Bestrafung der sächsischen Unternehmer als Zweck angegeben habe, habe es sich dabei lediglich um ein plakative Forderung gehandelt. Allein der Umstand, daß eine Maßnahme an individuelle Schuldvorwürfe anknüpfe, bewirke noch nicht ihren Strafcharakter.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Diese Begründung ist insgesamt aktenwidrig. Sie steht also in erkennbarem Widerspruch zu den Tatsachen des damaligen, in den Akten dokumentierten Verfolgungsgeschehens. Die Entscheidung beruht damit auf Willkür.

Soweit der Rehabilitierungssenat des OLG Dresden die Annahme, die Maßnahmen seien auf den SMAD-Befehl Nr. 124 gestützt gewesen, mit Angaben im Untersuchungsbericht zu rechtfertigen sucht, dieser habe darauf Bezug genommen, ist diese Feststellung schon deshalb aktenwidrig, weil sich die Bezugnahme auf das Sequestrationsverfahren bezogen haben, das dem Verfahren vor der Präsidialkommission vorausgegangen ist. Die Präsidialkommission aber hat dem Betroffenen die Vorwürfe gemacht, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der Richtlinien schuldig gemacht zu haben. Sie hat sich damit ausschließlich auf die Richtlinien und nicht auf den SMAD-Befehl Nr. 124 bezogen. Daher können Rechtsgrundlage der Maßnahmen nur die Richtlinien und nicht der SMAD-Befehl Nr. 124 gewesen sein.

Im Gegensatz zu anderen sächsischen Rehabilitierungsgerichten hat der Rehabilitierungssenat des OLG Dresden in seinem Beschluß vom 26. November 2010 zwar nicht in Frage gestellt, daß dem Betroffenen individuelle Schuldvorwürfe nach Maßgabe derRichtlinien zur Last gelegt worden sind. Er bestreitet aktenwidrig aber den Strafcharakter der Maßnahmen. Dabei ist es zwar richtig, daß die Richtlinien als Zweck der Maßnahmen auch die Friedenssicherung angegeben haben. Dies aber steht dem Strafcharakter der Aktion erkennbar nicht entgegen, zumal die Friedenssicherung den Zweck der Generalprävention beschreibt, die der Gesetzgeber mit Strafmaßnahmen in aller Regel ebenfalls verfolgt.

Der spezifische Strafzweck der Richtlinien ergibt sich aber zwingend aus diversen amtlichen Dokumenten u.a. der sächsischen Landesverwaltung. Davon erwähnt der Rehabilitierungssenat des OLG Dresden zwar das Kommuniqué der Landesverwaltung. Zu dem dort angegebenen Strafzweck stellt der Senat aber ohne jede Begründung die Behauptung auf, es habe sich dabei nur um eine plakative Forderung gehandelt. Diese Behauptung ist schon deshalb aktenwidrig, weil sie sich auf die zuvor erlassenen individuellen Schuldtatbestände der Richtlinien bezieht, die gerade keine nur plakativen, pauschalen Schuldvorwürfe (etwa Naziverbrecher, Naziaktivist oder Kriegstreiber) enthielten, sondern individuelle, als sozial-ethisch verwerflich eingestufte Handlungen beschrieben haben. Dazu steht die Behauptung des Gerichts, es habe sich lediglich um Forderungen nach einer plakativen Bestrafung gehandelt, in diametralem Widerspruch. Außerdem läßt der Rehabilitierungssenat die Zweckbestimmung in den Richtlinien unerwähnt, wonach sie sich ausschließlich gegen zuvor durch individuelle Handlungen bestimmte Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten richteten. Auch damit wurde der individuelle Strafzweck der Vergeltung für das in den Richtlinien beschriebene rechtswidrige Handeln festgeschrieben. Auch deshalb ist die Behauptung des Rehabilitierungssenats aktenwidrig.

BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2020 –8 C 6.19

Dem Urteil liegt der Fall einer im Rahmen des sächsischen Volksentscheides erfolgten Schädigung eines 1960 in der BRD verstorbenen Industriellen zugrunde. Er wurde u.a. von einem 1977 ebenfalls in der BRD Verstorbenen beerbt. Weil sein Vermögen überschuldet war, hat u.a. der Kläger die Erbschaft vor dem AG München ausgeschlagen. Dennoch hat er 1990 einen Antrag auf Rückübertragung des 1946 entzogenen Unternehmens gestellt und erhielt daraufhin im Jahr 2000 eine Ausgleichsleistung. Den entsprechenden Bescheid hat die Behörde 2013 wieder aufgehoben, weil ihr die 1977 erfolgte Ausschlagung nicht bekannt gewesen sei. Die dagegen gerichtete Klage war darauf gestützt, zur Bestimmung des Erben und Erbeserben i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG sei nicht auf die tatsächlich eingetretene Erbfolge abzustellen. Vielmehr habe wegen des mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verfolgten Wiedergutmachungszwecks eine hypothetische Prüfung vorgenommen werden müssen, wonach Ausgleichsberechtigter derjenige sei, der Erbe oder Erbeserbe des Geschädigten geworden sei, wenn es keine Schädigung des betreffenden Vermögenswertes gegeben habe. Dann aber habe berücksichtigt werden müssen, daß wegen der in der DDR belegenen Immobilien bei dem 1977 eingetretenen Nachlaßfall des in der BRD Verstorbenen eine Nachlaßspaltung mit der Folge eingetreten wäre, weil nach § 25 Abs. 1 RAG-DDR für deren Beurteilung der erbrechtlichen Folgen das in der DDR maßgebliche Erbrecht anwendbar geworden wäre. Dann habe eine Ausschlagung nach § 403 Abs. 2 S. 1 ZGB-DDR zwingend vor einem Notar der DDR erklärt werden müssen. Die vor dem AG München erklärte Ausschlagung habe sich deshalb nicht auf das in der DDR belegene Immobilienvermögen bezogen.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Dr. Ula Held-Daab, Vorsitzende Richterin am BVerwG
Petra Hoock, Richterin am BVerwG
Dr. Robert Keller,  Richter am BVerwG
Dr. Susanne Rublack, Richterin am BVerwG
Dr. Robert Seegmüller, Richter am BVerwG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Dem Urteil liegt der Fall einer im Rahmen des sächsischen Volksentscheides erfolgten Schädigung eines 1960 in der BRD verstorbenen Industriellen zugrunde. Er wurde u.a. von einem 1977 ebenfalls in der BRD Verstorbenen beerbt. Weil sein Vermögen überschuldet war, hat u.a. der Kläger die Erbschaft vor dem AG München ausgeschlagen. Dennoch hat er 1990 einen Antrag auf Rückübertragung des 1946 entzogenen Unternehmens gestellt und erhielt daraufhin im Jahr 2000 eine Ausgleichsleistung. Den entsprechenden Bescheid hat die Behörde 2013 wieder aufgehoben, weil ihr die 1977 erfolgte Ausschlagung nicht bekannt gewesen sei. Die dagegen gerichtete Klage war darauf gestützt, zur Bestimmung des Erben und Erbeserben i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG sei nicht auf die tatsächlich eingetretene Erbfolge abzustellen. Vielmehr habe wegen des mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verfolgten Wiedergutmachungszwecks eine hypothetische Prüfung vorgenommen werden müssen, wonach Ausgleichsberechtigter derjenige sei, der Erbe oder Erbeserbe des Geschädigten geworden sei, wenn es keine Schädigung des betreffenden Vermögenswertes gegeben habe. Dann aber habe berücksichtigt werden müssen, daß wegen der in der DDR belegenen Immobilien bei dem 1977 eingetretenen Nachlaßfall des in der BRD Verstorbenen eine Nachlaßspaltung mit der Folge eingetreten wäre, weil nach § 25 Abs. 1 RAG-DDR für deren Beurteilung der erbrechtlichen Folgen das in der DDR maßgebliche Erbrecht anwendbar geworden wäre. Dann habe eine Ausschlagung nach § 403 Abs. 2 S. 1 ZGB-DDR zwingend vor einem Notar der DDR erklärt werden müssen. Die vor dem AG München erklärte Ausschlagung habe sich deshalb nicht auf das in der DDR belegene Immobilienvermögen bezogen.

Der 8. Senat des BVerwG hat dagegen die Auffassung vertreten, Erbe und Erbeserbe des Geschädigten i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG sei der tatsächliche Erbe des Geschädigten. Er hat dies damit begründet, daß mit dem Tod des Erblassers nach § 1922 Abs. 1 BGB sein Gesamtvermögen auf den Erben übergehe. Er hat außerdem angenommen, daß es bei Berücksichtigung des hypothetischen Erben zu einer vom Gesetz nicht gewollten Anspruchskonkurrenz komme. Schließlich habe der 7. Senat des BVerwG zwar auf eine hypothetische Betrachtung verwiesen. Damit sei aber weder ein hypothetischer Erbgang für maßgeblich noch ein hypothetischer Erbe für restitutionsberechtigt angesehen worden. Vielmehr sei damit lediglich die Restitutionsberechtigung des tatsächlichen Erben mit der Hypothese des Gesetzgebers erläutert worden, jenem wäre der entzogene Vermögenswert ohne die Schädigung samt dem übrigen Nachlaß zugefallen. Mit Rücksicht auf die Erbstellung werde also wirtschaftlich nur die zeitliche Lücke zwischen Tod des Geschädigten und der Entstehung des Anspruchs in der Person seines Erben geschlossen. Daraus lasse sich für die Berechtigung eines anderen als des tatsächlichen Erben nichts herleiten. Schließlich ergebe sich auch aus dem Wiedergutmachungszweck keine andere Beurteilung, weil es sonst zu einer ungelösten Anspruchskonkurrenz komme.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

§ 1922 Abs. 1 BGB regelt lediglich den Nachlaß, der sich im Zeitpunkt des Todes des Erblasses tatsächlich in seinem Eigentum befand. Dazu zählten in SBZ und DDR geschädigte Vermögenswerte aber nicht. Insofern regelt die Vorschrift den Fall der ausgleichsrechtlichen Berechtigung nach § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG überhaupt nicht. Dies aber schließt es aus zu unterstellen, Erbe und Erbeserbe i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG könne ausschließlich derjenige sein, der tatsächlich die Erbschaft des Geschädigten angetreten hat. Das Gegenteil wird auch nicht durch das vom 8. Senat des BVerwG bemühte persönliche Näheverhältnis zwischen tatsächlichem Erben und Geschädigtem belegt. Dies belegt bereits der entschiedene Fall, in dem der Kläger Enkel des Geschädigten war, der tatsächliche Erbe infolge der Erbausschlagung aber der Staat.

Trotz der Nachlaßspaltung für das in der DDR belegene Immobilienvermögen fallen tatsächlicher Erbe und hypothetischer Erbe, der geerbt hätte, wenn dieses Vermögen nicht durch Maßnahmen des SED-Regimes geschädigt worden wäre, im Regelfall zusammen. Insbesondere in den Fällen der Erbausschlagung vor einem bundesdeutschen Nachlaßgericht fallen tatsächlicher und hypothetischer Erbe jedoch auseinander.

In diesen Fällen aber verlangt der mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verbundene Wiedergutmachungszweck, daß allein der hypothetische Erbe als berechtigter Erbe und Erbeserbe i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG behandelt wird. Eine Wiedergutmachung verlangt nämlich, daß durch Ausgleichsleistungen möglichst der Vermögenszustand wiederhergestellt wird, der vor der Schädigung bestanden hat. Bei Berücksichtigung des tatsächlichen Erben jedoch wäre eine Person ausgleichsleistungsberechtigt, die den Immobilienbesitz ohne die Schädigung in SBZ und DDR niemals erhalten hätte. Ihr gegenüber gibt es damit überhaupt keinen Grund, sie zu berechtigen. Vielmehr liefe mit der Auskehr der Ausgleichsleistung der mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verbundene Wiedergutmachungszweck ins Leere und derjenige, der ohne Schädigung die Immobilie in der DDR geerbt hätte, erhielte keine Wiedergutmachung.

Die ausschließliche, mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verbundene Zweckrichtung der Wiedergutmachung läßt sich auch nicht dadurch bestreiten, daß verfassungsrechtlicher Anlaß für den dort vorgesehenen Ausgleich vor allem das Sozialstaatsprinzip ist. Aus dem Sozialstaatsprinzip folgt insofern lediglich, daß der Gesetzgeber gegenüber den Opfern von Vermögensschädigungen durch das SED-Regime nicht untätig bleiben durfte. Dagegen besagt die verfassungsrechtliche Verankerung von Ausgleichsleistungsansprüchen nicht, daß damit allgemeine sozialrechtliche Ansprüche ohne Wiedergutmachungsgedanken gewährt werden sollten. Geradezu ins Groteske verkehrt wird die vom BVerwG erfolgte Bezugnahme auf das Sozialstaatsprinzip dann, wenn der von ihm als einzig mögliche Berechtigte, der tatsächliche Erbe, in keiner Weise des sozialen Ausgleichs bedarf, wie vorliegend der Staat.

Das dem einzigen Zweck des Ausgleichsleistungsgesetzes damit zuwiderlaufende Ergebnis ist auch nicht mit der vom 8. Senat des BVerwG angeführten Anspruchskonkurrenz zu rechtfertigen, da es eine solche nicht gibt. Ist nach § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG der hypothetische Erbe berechtigt, besteht daneben keine Berechtigung des tatsächlichen Erben. Insofern scheidet eine Konkurrenz von Ansprüchen des hypothetischen und des tatsächlichen Erben von vornherein aus.

Soweit sich der 8. Senat des BVerwG schließlich auf den vom 7. Senat des BVerwG geprägten Rechtssatz beruft, wonach der tatsächliche Erbe mit der vom Gesetzgeber aufgestellten Hypothese nur zum Ausdruck gebracht habe, jenem wäre der Vermögenswert ohne die Schädigung samt dem übrigen Nachlaß zugefallen, ist dieser dann zutreffend, wenn trotz einer Nachlaßspaltung tatsächlicher und hypothetischer Erbe zusammenfallen. Dagegen ist der Rechtssatz in sich grundlegend widersprüchlich, wenn tatsächlicher und hypothetische Erbe – wie im Fall der Erbausschlagung vor einem bundesdeutschen Nachlaßgericht – auseinanderfallen. Dann nämlich hätte der tatsächliche Erbe den Vermögenswert gerade nicht geerbt, wenn er nicht in SBZ oder DDR geschädigt worden wäre. Der 8. Senat des BVerwG stellt damit im entschiedenen Fall einen denklogisch ausgeschlossenen Rechtssatz auf. Bei einem Auseinanderfallen von tatsächlichem und hypothetischem Erben schließt § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG daher auch nicht nur eine zeitliche Lücke zwischen dem Tod des Geschädigten und dem Entstehen des Ausgleichsanspruchs, sondern ersetzt den tatsächlichen durch den hypothetischen Erben. Nur mit dieser wesentlichen Änderung läßt sich der Rechtssatz widerspruchslos aufstellen.

Die Entscheidung des 8. Senats des BVerwG mißachtet damit den mit dem Ausgleichsleistungsgesetz einzig verfolgten Wiedergutmachungszweck und führt im Ergebnis dazu, daß die vom Gesetz bezweckte Wiedergutmachung zugunsten des Staates ausbleibt. Dazu beruft er sich unberechtigt auf die verfassungsrechtliche Grundlage von Ausgleichsleistungsansprüchen, das Sozialstaatsprinzip, und behauptet eine tatsächlich nicht bestehende Anspruchskonkurrenz. Außerdem operiert er mit einem im vorliegenden Fall in sich widersprüchlichen Rechtssatz. Diese schweren Fehler machen die Begründung unvertretbar.

LG Chemnitz, Beschluß vom 18. Juni 2019 –BSRH 13/17

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag einer sächsischen Landeskommission, mit dem dem Inhaber eines Unternehmens zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe vonZiff. 2 lit. d der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Dieser Vorschlag ist durch den sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 bestätigt.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Jürgen Zöllner, Vorsitzender Richter am LG
Thomas Schäfer, Richter am LG
Helga Ruland, Richterin am LG 

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag einer sächsischen Landeskommission, mit dem dem Inhaber eines Unternehmens zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe vonZiff. 2 lit. d der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Dieser Vorschlag ist durch den sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 bestätigt.

Das LG Chemnitz hat die darauf gerichteten Rehabilitierungsanträge abgewiesen, weil es die Behauptung aufgestellt hat, die zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen seien nicht strafrechtlicher Natur i.S.v. § 1 Abs. 5 StrRehaG gewesen. Dies stützt die Kammer zunächst auf die weitere Behauptung, der Betroffene sei von der Landeskommission lediglich den Kategorien der aktivistischen Nazis zugeordnet worden. Sie habe gegen den Betroffenen aber keinen individuellen Schuldvorwurf erhoben. Auch könne von einem Strafzweck der Maßnahmen keine Rede sein. Vielmehr habe der historische Gesetzgeber der Enteignung lediglich Tür und Tor öffnen wollen.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Die Ablehnung der Rehabilitierung des Betroffenen durch die Kammer des LG Chemnitz beruht ausnahmslos auf aktenwidrigen Feststellungen. Sie stehen somit in offenem Widerspruch zum Inhalt der Dokumente in der maßgeblichen Gerichtsakte. Die Ablehnung beruht damit auf Willkür.

Die sächsischen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern enthalten insgesamt 15 individuelle Schuldtatbestände. Sie sind in drei Tatbestandsgruppen – 1. Naziverbrecher, 2. aktivistische Nazis, 3. Kriegsinteressenten – unterteilt, die jeweils mehrere, mit kleinen Buchstaben gekennzeichnete, individuelle Schuldtatbestände umfassen. Weil die Kommission den Enteignungsvorschlag mit der Ziff. 2 lit. d der Richtlinien begründet hat, hat sie jeweils auf die mit diesen Buchstaben bezeichneten individuellen Schuldtatbestände und nicht auf bloße Kategorien ohne individuellen Schuldtatbestände verwiesen. Der gegen den Betroffenen erhobene individuelle, nachweislich aber falsche Schuldvorwurf hat gelautet, er sei als aktivistischer Nazi schuldig, weil er Mitglied der SA, des NSKK oder des NSFK vom Truppführer oder Funktionär gleichen Ranges aufwärts gewesen sei. Damit ist die Behauptung der Kammer, der Betroffene sei lediglich einer (unspezifischen) Kategorie zugeordnet worden, offenkundig unzutreffend.

Erkennbar unrichtig ist dabei auch die Behauptung der Kammer, die Richtlinien zum sächsischen Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes hätten der Landeskommission gar nicht vorgelegen. Soweit sie sich darauf beruft, der Landesvorsitzende der LPD habe im Schreiben vom 24. April 1946 an die sächsische Landesverwaltung bemängelt, daß den Kommissionen keine Richtlinien vorgelegen hätten, auf deren Grundlage sie zu entschieden hätten, ist diese Begründung unhaltbar. Über die individuellen Schuldtatbestände der Richtlinien haben sich die antifaschistischen Parteien mit der Landesverwaltung erst am 30. April 1946 verständigt. Erlassen worden sind die Richtlinien sogar erst am 21. Mai 1946. Am selben Tag wurden auch erst 10 Landeskommissionen eingesetzt, die über die Schuld von Unternehmern nach Maßgabe der individuellen Schuldvorwürfe entscheiden sollten. Das Schreiben des LPD-Landesvorsitzenden Kastner konnte sich daher noch gar nicht auf die erst seit dem 21. Mai 1946 geltende Rechtslage und die seitdem erfolgten Entscheidungen beziehen. Vielmehr befaßte es sich mit Entscheidungen der bereits aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 124 eingesetzten Sequesterkommissionen, die eigentlich nur befugt waren, über die Beschlagnahme von Unternehmen zu entscheiden, in Sachsen aber in vielen Fällen willkürlich Unternehmen auch bereits auf Enteignungslisten gesetzt haben, um so eine Entscheidung der Landeskommissionen auf der Grundlage der erst am 21. Mai 1946 in Kraft getretenen individuellen Schuldtatbestände der Richtlinien zum umgehen. Im übrigen hat sich die Landeskommission in ihrer Entscheidung vom 25. Mai 1946 ausdrücklich auf den Tatbestand in Ziff. 2 lit. d der Richtlinien bezogen. Dies wäre der Landeskommission nicht möglich gewesen, wenn ihr die Richtlinien, wie die Kammer behauptet, nicht vorgelegen hätten. m

Der von der Landeskommission erhobene Schuldvorwurf läßt sich erkennbar auch nicht durch die Tatsache in Frage stellen, daß Sequesterkommissionen vor Erlaß der Richtlinien bereits Unternehmen auf endgültige Enteignungslisten gesetzt haben, wie die Kammer aktenwidrig behauptet. Dieser Umstand belegt lediglich, daß die Sequesterkommissionen seinerzeit in Einzelfällen rechtsmißbräuchlich nicht nur über die Beschlagnahme, sondern auch über die Enteignung entschieden haben, um so eine individuelle Prüfung durch die Landeskommissionen zu vermeiden. Haben aber nicht die Sequesterkommissionen, sondern die Landeskommissionen auf der Grundlage der Richtlinien entschieden, dann wird der individuelle Schuldvorwurf der Landeskommission durch eine diese Fälle gar nicht betreffende anderweitige Entscheidungspraxis der Sequesterkommissionen nicht in Frage gestellt.

Der erhobene Schuldvorwurf läßt sich auch nicht dadurch bestreiten, daß er von der Landeskommission zunächst nur als Vorschlag erlassen worden ist. Er ist nämlich am 30. Juni 1946 pauschal durch den sächsischen Volksentscheid bestätigt und damit rechtswirksam geworden. Dem steht der von der Kammer erwähnte Umstand, daß es in anderen Fällen Änderungen auf den Enteignungslisten gegeben habe, erkennbar nicht entgegen.

Den Strafzweck der Richtlinien bestreitet die Kammer zunächst mit der nicht begründeten Behauptung, die antifaschistischen Parteien hätten sich mit der Landesverwaltung nicht darüber verständigt, daß die Richtlinien Straftatbestände hätten darstellen sollen. Dazu berücksichtigt die Kammer mit keinem Wort die in den Akten befindlichen Dokumente von Vertretern sämtlicher Parteien (SED, LPD und CDU), aus denen sich der vereinbarte Strafcharakter zweifellos ergibt und in denen auch erläutert wird, weshalb es insofern zu einem Sinneswandel bei der SED gegeben hat. Ebenso unerwähnt bleibt, daß die Landesverwaltung Sachsen in mehreren offiziellen Dokumenten zur Vorbereitung des Volksentscheides ausdrücklich den spezifischen Strafcharakter der Maßnahmen unterstrichen hat. Entsprechende Dokumente gibt es auch von den antifaschistischen Parteien und speziell auch von der SED. Und schließlich läßt die Kammer unerwähnt, daß die Richtlinien selbst als deren Zweck beschreiben, sie richteten sich ausschließlich gegen Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten, die zuvor durch individuelle Handlungen bestimmt worden waren. Damit haben die Richtlinien selbst klar zum Ausdruck gebracht, daß sie der Vergeltung für die zuvor beschriebenen Unrechtshandlungen dienen sollten. Dies gilt erst recht, weil die Richtlinien außerdem betonen, es handele sich um keine wirtschaftlichen Maßnahmen.

Soweit die Kammer – offenbar im Hinblick auf die in den Akten befindlichen Dokumente mit Stellungnahmen von Vertretern der antifaschistischen Parteien – die Behauptung aufgestellt hat, nur Teile der Beteiligten hätten den Strafcharakter der Richtlinien gewollt, steht dies in offenkundigem Widerspruch zu den Tatsachen, daß die Richtlinien von sämtlichen Vorsitzenden der antifaschistischen Parteien, dem Präsidenten und Vizepräsidenten der Landesverwaltung und dem Vorsitzenden des FDGB unterzeichnet worden sind und daß die Landesverwaltung in mehreren amtlichen Dokumenten den Strafcharakter der Maßnahmen hervorgehoben haben. Da sich diese Aussage auf die individuellen Tatbestände der Richtlinien bezog, kann auch keine Rede davon sein, daß die Angaben der Landesverwaltung auf eine nur pauschale, plakative (also nicht auf individuelle Schuldvorwürfe gerichtete) Bestrafung gerichtet waren.

Der Volksentscheid vom 30. Juni 1946 hat einerseits die Schuldsprüche und Enteignungsvorschläge der Landeskommissionen (sowie die ohne Schuldspruch ergangenen Enteignungsvorschläge der Sequesterkommissionen) bestätigt und damit rechtswirksam werden lassen und andererseits den Entwurf des Gesetzes über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes in Kraft gesetzt, das automatisch die Enteignung der Unternehmer bewirkte, die infolge der Schuldsprüche der Landeskommissionen auf die Enteignungsliste A geworden sind. Soweit der Volksentscheid damit die Rechtswirksamkeit der vorgeschlagenen Schuldsprüche und Enteignungen bewirkt hat, stellt er selbst ebenfalls eine Strafmaßnahme dar. Dies folgt zwingend aus dem Umstand, daß auch die Bestätigung der Schuldsprüche ihre Rechtsgrundlage in den Richtlinien gefunden haben. Nur soweit er auch Enteignungsvorschläge der Sequesterkommissionen ohne Schuldvorwürfe bestätigt hat, war er verwaltungsrechtlicher Natur. Mit der Darlegung der Kammer, der Volksentscheid habe nur eine „Demokratiebetätigung durch das Volk“ dargestellt, werden seine Inhalte und Rechtswirkungen ohne jede Begründung vollständig ausgeblendet.

Die Kammer hat den Strafcharakter der Aktion des Volksentscheides schließlich mit Absprachen zwischen Stalin und Ulbricht in Moskau vom 2. Februar 1946 zu rechtfertigen gesucht. Sie bezieht sich dabei auf Ausführungen des Zeithistorikers Creutzberger (Klassenkampf in Sachsen, in: Historisch-politische Mitteilungen, Heft 2/1995, S. 119 ff.), der ausführt, dabei sei über eine Enteignungsproblematik gesprochen worden. Diese Aussage aber ist nachweislich unrichtig. In seinem Protokoll vom 2. Februar 1946 hat Ulbricht keinen Auftrag zu einer Enteignung, sondern zu einer „Säuberung“ festgehalten. Dabei handelte es sich nach sowjetischem Rechtsverständnis jeweils um eine Repressions-, also Strafmaßnahme. Daher gab es auch aus Moskau die Vorgabe einer Repression gegen Unternehmer.

Der Zeithistoriker Creutzberger hat zwar außerdem dargelegt, die damaligen Machthaber hätten seinerzeit den (nicht zutreffenden) Eindruck zu erwecken gesucht, bei der Aktion des Volksentscheides habe es sich um eine Strafmaßnahme gehandelt, obgleich davon eigentlich keine Rede hätte sein können. Diese Aussagen des Zeithistorikers (und auch anderer Zeithistoriker) beruhen aber auf dem Umstand, daß ihnen der Erlaß der Richtlinien mit individuellen Straftatbeständen unbekannt war und daß die Maßnahmen ohne diese Rechtsgrundlagen und ihrer Anwendung tatsächlich keine Strafmaßnahme gewesen wäre. Diese Rechtsgrundlagen und ihre Anwendung hat es aber gegeben. Damit sind die Aussagen der Zeithistoriker zu einem fehlenden Strafcharakter der Aktion unrichtig, weil sie auf maßgeblich unvollständigen Fakten beruhen.

Daß mit der Aktion des Volksentscheides auch noch weitere Ziele verfolgt sind, die die Kammer ebenfalls erwähnt (Propagandamaßnahme zur Manifestation zur Vorherrschaft der SED, Friedenssicherung) steht ihrem Strafcharakter nicht entgegen. Der Zweck der Friedenssicherung ist im übrigen ein Zweck der Generalprävention, der allgemein ebenfalls mit Strafmaßnahmen verfolgt wird. Dagegen steht die Behauptung der Kammer, damit auch der Zweck der Sozialisierung betrieben worden, in offenkundigem Widerspruch zu den Zweckangaben in den Richtlinien, die ausdrücklich unterstrichen haben, es handele sich bei der Aktion um keine wirtschaftlichen Maßnahmen.

LG Dresden, Beschluß vom 18. Juni 2019 –BSRH 13/17

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag der sächsischen Präsidialkommission, mit dem den Inhabern eines Unternehmens zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Diesen Vorschlag hatte das sächsische Gesamtministerium im Umlaufverfahren bestätigt.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Dertinger, Richter am LG
Alexander Dost, Richter
Sandra David, Richterin am LG 

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag der sächsischen Präsidialkommission, mit dem den Inhabern eines Unternehmens zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Diesen Vorschlag hatte das sächsische Gesamtministerium im Umlaufverfahren bestätigt.

Das LG Dresden hat die darauf gerichteten Rehabilitierungsanträge abgewiesen, weil es die Behauptung aufgestellt hat, die zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen seien nicht strafrechtlicher Natur gewesen. Dies stützt die Kammer zunächst auf die weitere Behauptung, der Betroffene sei von der Präsidialkommission lediglich den Kategorien der Naziverbrecher, der aktivistischen Nazis und der Kriegsinteressenten zugeordnet worden. Außerdem habe es keine Einigung im Block der antifaschistischen Parteien über den Strafzweck der Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes gegeben. Letztere Behauptung hat die Kammer auf den Umstand gestützt, daß die Kommissionen Enteignungsvorschläge infolge der Größe der betroffenen Betriebe gefaßt hätten.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Die sächsischen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern enthalten insgesamt 15 individuelle Schuldtatbestände. Sie sind in drei Tatbestandsgruppen – 1. Naziverbrecher, 2. aktivistische Nazis, 3. Kriegsinteressenten – unterteilt, die jeweils mehrere, mit kleinen Buchstaben gekennzeichnete, individuelle Schuldtatbestände umfassen. Weil die Kommission den Enteignungsvorschlag mit den Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der Richtlinien begründet hat, hat sie jeweils auf die mit diesen Buchstaben bezeichneten individuellen Schuldtatbestände und nicht auf bloße Kategorien ohne individuellen Schuldtatbestände verwiesen. Damit ist die Behauptung der Kammer, der Betroffene sei lediglich einer (unspezifischen) Kategorie zugeordnet worden, offenkundig unzutreffend.

Unrichtig ist auch die weitere Behauptung des Gerichts, es habe keine Vereinbarung über den Strafzweck der Verfolgung gegeben. Es ist zwar zutreffend, daß die Kommissionen oftmals keinen Beweis für die den Betroffenen zur Last gelegten Taten erbringen konnten und dennoch Schuldvorwürfe nach Maßgabe der Richtlinien nur deshalb erhoben haben, weil sie Inhaber eines größeren Unternehmens waren. Selbst in diesen Fällen aber haben sie den Betroffenen konkrete, individuelle Schuldvorwürfe auf der Grundlage der Richtlinien zur Last gelegt. Sie haben damit die in den Richtlinien enthaltenen Schuldtatbestände aus politischen Gründen schwerwiegend mißbraucht.

Daraus zu schließen, es habe keine Einigung über den mit den Schuldtatbeständen der Richtlinien verbundenen Strafzweck gegeben, ist aber schon deshalb unvertretbar, weil die Kommissionen auch ohne Schuldnachweis individuelle Schuldvorwürfe nach Maßgabe der Richtlinien erhoben haben. Damit belegt bereits die Entscheidungspraxis der Kommissionen, daß es eine Einigung zwischen der Landesverwaltung Sachsen, den antifaschistischen Parteien und dem FDGB gab, die Unternehmer schuldig zu sprechen und damit zu bestrafen, selbst wenn diese Bestrafungsmaßnahmen kraß willkürlich vorgenommen wurden.

Unabhängig davon waren die Kommissionen aber nicht am Abstimmungsprozeß über die Richtlinien beteiligt. Vielmehr sind sie u.a. vom Präsidenten und Vizepräsidenten der Landesverwaltung Sachsen sowie den sächsischen Vorsitzenden der im Block vertretenen antifaschistischen Parteien verabschiedet und unterzeichnet worden. Damit wird auch die Aussage der Rehabilitierungskammer des LG Dresden widerlegt, es sei möglich, daß Teile der Parteien für die Verabschiedung der Richtlinien gewesen seien, es aber keine Vereinbarung mit sämtlichen Parteien gegeben habe.

Den spezifischen Strafzweck, dem die Richtlinien gedient haben, haben sie bereits selbst ausdrücklich festgelegt. Dazu heißt es dort wörtlich: „Der Volksentscheid richtet sich also ausschließlich gegen Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten. Das sind diejenigen, die das deutsche Volk ins Unglück gestürzt haben. ….. Der beabsichtigte Volksentscheid ist also keine wirtschaftliche Maßnahme …….“ Damit haben die Richtlinien die Forderungen der bürgerlichen Parteien CDU und LPD im Block festgeschrieben, die sich an der Aktion des Volksentscheids nur beteiligen wollten, wenn damit keine allgemeine Sozialisierungsaktion verbunden sei, sondern wenn sie auf die Bestrafung von Unternehmern beschränkt bleibe, die sich aufgrund individueller, in den Richtlinien festgeschriebenen Tatbeständen als Naziverbrecher, aktivistische Nazis oder Kriegsinteressenten schuldig gemacht hätten.

Der auf die individuellen Schuldtatbestände der Richtlinien bezogene spezifische Strafzweck ist darüber hinaus in mehreren amtlichen Dokumenten der Landesverwaltung Sachsen bestätigt worden, nämlich durch eine Deklaration und ein dazu verfaßtes Rundschreiben, in dem wegen der notwendigen Prüfung ausdrücklich auf die Richtlinien der Blockparteien und des FDGB verwiesen wurde, und durch ein weiteres Kommuniqué. Der Strafzweck wird außerdem im Aufruf der Blockparteien zum Volksentscheid explizit genannt.

Der Beschluß des LG Dresden stützt den fehlenden Strafcharakter daher ausschließlich auf in offenem Widerspruch zu den dokumentierten Tatsachen des Verfolgungsgeschehens stehen, weil er einerseits tatsächlich erhobene individuelle Schuldvorwürfe bestreitet und durch die Behauptung einer bloßen Zuordnung zu einer Kategorie ersetzt, sowie andererseits den dokumentierten Erlaß der Richtlinien und den damit ausdrücklich verbundenen Strafzweck abstreitet, ohne sich mit den maßgeblichen Beweisstücken dazu auseinanderzusetzen. Damit verharmlost die Rehabilitierungskammer gezielt die seinerzeit in besonders willkürlicher Weise praktizierte Repression durch die sächsische Präsidialkommission und das sächsische Gesamtministerium, um keine Strafverfolgung annehmen und das verübte Verfolgungsunrecht nicht strafrechtlich zu rehabilitieren.

LG Berlin, Beschluß vom 9. Oktober 2017 – 152 Js 139/17 Reha

Die Rechtsvorgänger der Antragsteller waren Gesellschafter einer Berliner Personengesellschaft. 1948 beschloß eine Kommission der Deutschen Treuhandverwaltung des sequestrierten und beschlagnahmten Vermögens im sowjetischen Besatzungssektor der Stadt Berlin (DTV) vorzuschlagen, diese wegen mehrerer, in der KRD Nr. 38 beschriebenen Verbrechen schuldig zu sprechen und – auch dies unter Berufung auf die KRD Nr. 38 – ihre gesamten Vermögen einzuziehen. Diesem Beschluß war 1947 der Beschluß der für sämtliche Besatzungssektoren von Berlin zuständigen Stadtverordnetenversammlung vorausgegangen, mit dem eine Verordnung über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten beschlossen worden war. Sie sah vor, nach Maßgabe der KRD Nr. 38 schuldig gesprochenen Unternehmern das gesamte Vermögen einzuziehen. In der parlamentarischen Debatte hatten Vertreter von CDU und SPD darauf hingewiesen, die Verordnung diene der Bestrafung von Unternehmer und sie solle sicherstellen, daß den nach Maßgabe der KRD schuldig gesprochenen Unternehmern nicht nur einzelne Vermögensteile, sondern ihr Gesamtvermögen eingezogen werde. Diese Verordnung wurde allerdings nicht von den Vertretern der westlichen Alliierten in der Berliner Kommandantura genehmigt worden und war deshalb nicht in Kraft getreten. Nach der Berlinblockade hat sie aber der für Ostberlin zuständige Magistrat als Gesetz über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten. Außerdem bestätigte er in Ziff. 1 des Beschlusses Nr. 91 die von den Kommissionen der DTV vorgeschlagenen Einziehungsbeschlüsse.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Michael Heinartz,  Richter am LG
Dr. Ines Tari, Richterin am AG
Anke Erdmann, Richterin am LG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Die Rechtsvorgänger der Antragsteller waren Gesellschafter einer Berliner Personengesellschaft. 1948 beschloß eine Kommission der Deutschen Treuhandverwaltung des sequestrierten und beschlagnahmten Vermögens im sowjetischen Besatzungssektor der Stadt Berlin (DTV) vorzuschlagen, diese wegen mehrerer, in der KRD Nr. 38 beschriebenen Verbrechen schuldig zu sprechen und – auch dies unter Berufung auf die KRD Nr. 38 – ihre gesamten Vermögen einzuziehen. Diesem Beschluß war 1947 der Beschluß der für sämtliche Besatzungssektoren von Berlin zuständigen Stadtverordnetenversammlung vorausgegangen, mit dem eine Verordnung über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten beschlossen worden war. Sie sah vor, nach Maßgabe der KRD Nr. 38 schuldig gesprochenen Unternehmern das gesamte Vermögen einzuziehen. In der parlamentarischen Debatte hatten Vertreter von CDU und SPD darauf hingewiesen, die Verordnung diene der Bestrafung von Unternehmer und sie solle sicherstellen, daß den nach Maßgabe der KRD schuldig gesprochenen Unternehmern nicht nur einzelne Vermögensteile, sondern ihr Gesamtvermögen eingezogen werde. Diese Verordnung wurde allerdings nicht von den Vertretern der westlichen Alliierten in der Berliner Kommandantura genehmigt worden und war deshalb nicht in Kraft getreten. Nach der Berlinblockade hat sie aber der für Ostberlin zuständige Magistrat als Gesetz über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten. Außerdem bestätigte er in Ziff. 1 des Beschlusses Nr. 91 die von den Kommissionen der DTV vorgeschlagenen Einziehungsbeschlüsse.

Die darauf bezogenen strafrechtlichen Rehabilitierungsanträge hat die Rehabilitierungskammer des LG Berlin als unbegründet zurückgewiesen. Den zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen sei kein strafrechtlicher Charakter i.S.v. § 1 Abs. 1 und 5 StrRehaG zugekommen. Die Entscheidungsvorschläge der DTV hätten keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfaltet. Die Vorschläge seien auch nicht durch den Magistrat bestätigt und damit wirksam geworden. Vielmehr sei die Einziehung des Vermögens unmittelbar durch das Gesetz über die Einziehung von Vermögenswerten von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten erfolgt. Zudem hätte der Beschluß des Magistrats zur Durchführung des Einziehungsgesetzes reines Verwaltungsrecht dargestellt.

Außerdem gehe die Kammer mit der Rechtsprechung des KG weiterhin davon aus, daß Rechtsgrundlage für die in Rede stehenden Maßnahmen das Gesetz über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten gewesen sei, das nicht der Ahndung von mißbilligtem Verhalten gedient habe, und daß es sich bei der anschließenden Einziehung nach Listen um Maßnahmen von Verwaltungsbehörden gehandelt habe. Dazu zitiert die Kammer eine längere Passage aus dem Beschluß des KG vom 22. Juni 2010 – 2 Ws 191/10 REHA –, in der das KG aber festgestellt hatte, daß die Maßnahmen nicht auf die KRD Nr. 38, sondern auf den SMAD-Befehl Nr. 124 gestützt gewesen war.

Selbst wenn das Einziehungsgesetz zur unabdingbaren Voraussetzung eine Qualifizierung als Kriegsverbrecher oder Naziaktivist i.S.d. KRD Nr. 38 gehabt habe, besage dies nicht, daß die gegen diesen Personenkreis verhängten Maßnahmen spezifisch strafrechtlicher Natur waren. Schon die KRD Nr. 38 habe sich in weiten Teilen von strafrechtlichen Inhalten entfernt. Sie habe auch der Vernichtung des Nationalsozialismus und des Militarismus sowie der Kontrolle und Überwachung möglicherweise gefährlicher Deutscher gedient hätten. Dementsprechend habe die KRD Nr. 38 nicht nur solche Personen benannt, denen ein konkretes Verbrechen vorzuwerfen war, sondern auch Personen, die sich in nationalsozialistischen Organisationen betätigt, die aus der Zusammenarbeit mit solchen Organisationen erheblichen Nutzen gezogen oder die sich auch nur als offen bekennende Anhänger der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erwiesen hätten. Auch gegenüber diesen Personen sei das Vermögen eingezogen worden. Ziel dieser Maßnahmen sei es gewesen, Vermögenswerte dieser Personen zum Volkseigentum zu ziehen und so zur Vernichtung des Nationalsozialismus beizutragen. Diese Zweckrichtung habe auch der Magistratsbeschluß bestätigt. Dementsprechend seien auf den Listen auch nicht die Namen der Unternehmensinhaber, sondern nur die Firmen der Unternehmer benannt worden. Solche der Entnazifizierung dienende Vermögenseinziehungen seien aber verwaltungsrechtlicher Natur gewesen.

Insofern komme es bei der Beurteilung, ob eine Maßnahme strafrechtlicher Natur i.S.v. § 1 Abs. 1 und 5 StrRehaG gewesen sei, auch nicht auf das damalige Rechtsverständnis, sondern allein darauf an, ob nach bundesdeutschem Rechtsverständnis eine Strafverfolgung vorgelegen habe. Daher sei es auch unerheblich, ob bestimmte Tatbestände der KRD Nr. 38 von der Rechtsprechung des KG als strafrechtlich angesehen worden seien. Ebenso wenig komme es auf das stalinistische Rechtsverständnis an. Dies gelte schon deshalb, weil die Vermögenseinziehungen durch das Einziehungsgesetz angeordnet worden sei. Außerdem habe dieses Gesetz nur Vermögenseinziehungen, nicht aber andere Sanktionen wie Freiheits- und Todesstrafen vorgesehen. Unerheblich sei auch das Verständnis von Abgeordneten der Berliner Stadtverordnetenversammlung gewesen, weil die von ihnen beschlossene Verordnung zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten von den westlichen Alliierten nicht genehmigt worden sei. Zudem habe sich der Abgeordnete Bach (SPD) nur vage zum Strafcharakter der KRD Nr. 38 geäußert.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Der Beschluß prüft die zur Rehabilitierung gestellten Unrechtsakte ausnahmslos auf einer unzutreffenden Grundlage und gewährt schon wegen des grundlegend unrichtigen Prüfungsprogamms keinen gerichtlichen Rechtsschutz.

Es ist zwar richtig, daß eine strafrechtliche Rehabilitierung nach § 1 Abs. 1 und 5 StrRehaG den Strafcharakter der zu rehabilitierenden Maßnahmen voraussetzt. Diesen prüft die Kammer jedoch explizit nach bundesdeutschem Rechtsverständnis. Nach ständiger Rechtsprechung der strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte ist der Strafcharakter dagegen nach Recht und Rechtspraxis der DDR und nicht nach bundesdeutschem Verständnis zu bestimmen. Dies ist auch zwingend erforderlich, weil die strafrechtliche Rehabilitierung der Aufarbeitung von in SBZ und DDR begangenem Unrecht dient und es nicht als solches bei Rehabilitierungsentscheidung Berücksichtigung findet, wenn der Prüfung ein in SBZ und DDR irrelevantes, rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtetes, bundesdeutsches Rechtsverständnis zugrunde gelegt wird. Mit einer solchen Prüfung wird den SED-Machthabern rechtsstaatliches Handeln unterstellt, das Recht und Rechtspraxis in SBZ und DDR aber nicht entsprach. Speziell bei Maßnahmen der politischen Verfolgung, die nach dem in SBZ und DDR geltenden Rechtsverständnis Strafcharakter aufwiesen, waren materielle rechtsstaatliche Strafrechtsgarantien sowie strafprozessuale Grundsätze weitgehend außer Kraft gesetzt. Das gilt in besonderer Weise für die im vorliegenden Fall praktizierten Repressionsmaßnahmen, die selbst elementarste rechtsstaatliche Verfahrensgarantien systematisch mißachtet haben und deshalb reine Willkürakte darstellten. Wird den verübten Repressionsmaßnahmen aber der Strafcharakter abgesprochen, weil sie rechtsstaatlichen Strafverfahren nicht entsprachen, wird die gesetzlich angeordnete Rehabilitierung mit dem geschehenen Unrecht, das der Grund für die Rehabilitierung sein sollte, ausgehebelt.

Da es sich bei dem in SBZ und DDR praktizierten Recht um fremdes Recht handelt, das dem bundesdeutschen Richter grundsätzlich nicht bekannt ist, sind in entsprechender Anwendung von § 293 ZPO für die Prüfung des Rechtscharakters der zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen die Tatsachen zu ermitteln, die in Berlin seinerzeit Recht und Rechtspraxis der Verfolgung der Betroffenen ausgemacht haben (vgl. etwa: BGHSt 35, 216, 223; NJW 1994, 3364, 3366). Dies hat im Freibeweisverfahren zu erfolgen. Eine solche Ermittlung hat die Kammer des LG Berlin vollständig unterlassen und hat statt dessen eine reine Rechtsprüfung vorgenommen, für die sie sogar ein bundesdeutsches Rechtsverständnis zugrunde gelegt hat. Damit aber wird das seinerzeit tatsächlich praktizierte Unrecht vollständig ausgeblendet. Deshalb verstößt der Beschluß gegen die verfassungsrechtliche Garantie des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip.

Nach der seinerzeit in Ostberlin geltenden Rechtswirklichkeit waren strafrechtliche Enteignungsvorschläge der Kommissionen der DTV zwar noch nicht endgültig, wurden aber mit einem wie auch immer gearteten Bestätigungsakt wirksam. Diese gesetzlich nicht geregelte Rechtspraxis war von den in der UdSSR verübten Repressionsmaßnahmen der sog. stalinistischen Säuberungen übernommen worden, bei denen vom NKWD eingesetzte Dwoikas insbesondere auf der Grundlage des Art. 58 des Strafgesetzbuchs der RSFSR Strafvorschläge unterbreiteten, die in einem „Album“ zusammengefaßt und dann „im Paket“ von einem Bestätigungsorgan regelmäßig ohne weitere Prüfung etwa durch eine Unterschrift bestätigt wurden.

Der zur Rehabilitierung gestellte strafrechtliche Enteignungsvorschlag der DTV enthielt individuelle, auf einzelne Tatbestände der KRD Nr. 38 gestützte Schuldvorwürfe und stützte sich wegen der Rechtsfolge der vollständigen Vermögenseinziehung auf Sanktionsnormen der KRD Nr. 38, die die Vermögenseinziehung vorsahen, sowie auf einen Hinweis auf die von der Berliner Stadtverordnetenversammlung beschlossene, aber nicht in Kraft getretene Verordnung über die Einziehung von Vermögenswerte der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten. Damit hat die Kommission der DTV die Betroffenen individuell wegen ihnen zur Last gelegter, in der KRD Nr. 38 umschriebener Handlungen schuldig gesprochen. Sie hat deshalb die Sanktion der vollständigen Vermögenseinziehung verhängt. Schon weil die KRD Nr. 38 ausdrücklich bestimmte, sie diene (auch) der Strafverfolgung, steht auch der mit diesen Maßnahmen verfolgte Strafzweck außer Frage. Dieser Vorschlag führte dazu, daß auch das Unternehmen der Betroffenen auf die Berliner Liste 1 gesetzt wurde, die mit Ziff. 1 Magistratsbeschluß Nr. 91 vom 8. Februar 1949 bestätigt wurde. Damit ist der spezifische Strafcharakter der Maßnahme belegt. Dieses Ergebnis wird durch die Begründungsversuche der Kammer, die ausnahmslos der damaligen Rechtspraxis widersprechen oder sonst mit ihr nicht übereinstimmen, nicht entkräftet.

Die KRD Nr. 38 nennt in Abschnitt I, 1.als weitere Zwecke neben der „Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten, Militaristen und Industriellen“ auch die „endgültige Vernichtung des Nationalsozialismus und des Militarismus“ sowie „die Internierung von Deutschen, welche, ohne bestimmter Verbrechen schuldig zu sein, als für die Ziele der Alliierten gefährlich zu betrachten sind“. Die beiden zuletzt genannten Zwecke betreffen aber den für die Rehabilitierung allein maßgeblichen strafrechtlichen Enteignungsvorschlag der DTV nicht. Der Zweck der Vernichtung des Nationalsozialismus bezieht sich ausschließlich auf Maßnahmen der „Gefangensetzung oder Tätigkeitsbeschränkung“, nicht aber auf solche Vermögenseinziehung. Der Enteignungsvorschlag betrifft auch nicht die Internierung der Betroffenen, zumal sie die Kommission der DTV auch wegen vermeintlicher Verstöße gegen von der KRD Nr. 38 mißbilligten Handlungen schuldig gesprochen hat.

Soweit die Kammer des LG Berlin daher den Strafzweck der Maßnahmen unter Hinweis auf die weiteren Zweckrichtungen der KRD Nr. 38 in Zweifel zieht, steht dies in offenem Widerspruch zu den gesetzlichen Zweckangaben der KRD Nr. 38, die für auf Schuldsprüche gestützte Vermögenseinziehungen allein den Zweck der Bestrafung angibt. Im übrigen sind – entgegen der nicht begründeten Behauptung der Kammer – auch die Organisationsstraftatbestände der KRD Nr. 38 als Strafvorschriften angewandt worden. Allein im Rahmen der Waldheimer Prozesse waren 91 Verurteilungen darauf gestützt. Dem steht auch die Rechtsprechung des KG nicht entgegen. In dem von der Kammer ausführlich zitierten Beschluß vom 22. Juni 2010 – 2 Ws 191/10 REHA – ist das KG vielmehr davon ausgegangen, daß die Vermögenseinziehung nicht auf die KRD Nr. 38, sondern (allein) auf den SMAD-Befehl Nr. 124 gestützt gewesen sei, der aber keine individuellen Schuldtatbestände enthielt. Für auf die KRD Nr. 38 gestützte Verurteilungen hat der Beschluß aber ausdrücklich auf deren Strafcharakter hingewiesen. Insofern steht die Rechtsprechung des KG der Entscheidung des LG Berlin sogar diametral entgegen, weil der Entscheidungsvorschlag der DTV in dem von ihm entschiedenen Fall auf die KRD Nr. 38 gestützt war.

Die Begründung der Kammer, der Enteignungsvorschlag der DTV sei nicht wirksam geworden, steht bereits in offenem Widerspruch zu der Angabe der Kammer, rehabilitierungsfähig seien auch nur faktische Strafmaßnahmen. Mit dem Enteignungsvorschlag sind, unabhängig davon, ob er nach damaligem Rechtsverständnis durch den Magistrat bestätigt und damit wirksam geworden ist, zumindest faktisch Schuldvorwürfe erhoben worden, die damit ebenso wie der Ausspruch der Vermögenseinziehung zumindest als faktische Unrechtsakte zu rehabilitieren sind.

Abgesehen davon hat Ziff. 1 des Magistratsbeschlusses Nr. 91 vom 8. Februar 1949 auch bestimmt, daß die auf der Liste 1 vermerkten Unternehmen zu enteignen seien, während Ziff. 2 des Magistratsbeschlusses Nr. 91 die Rückgabe der auf der Liste 2 aufgeführten Unternehmen anordnete. Damit hat der Magistratsbeschluß die die Aufnahme auf die Listen bedingenden Enteignungsvorschläge bestätigt (Enteignungsanordnung für Liste 1) bzw. ihre Bestätigung abgelehnt (Rückgabeanordnung für Liste 2).

Wenn die Kammer demgegenüber dargelegt hat, die Schuldsprüche der Kommission der DTV seien damit deshalb nicht bestätigt worden, weil auf den Listen nicht die Namen der Betroffenen, sondern ihre Unternehmen aufgeführt worden seien, wird dies der damaligen Rechtspraxis nicht gerecht. Bei den Listen handelte es sich um auf der Grundlage der Enteignungsvorschläge der DTV erfolgte Fortschreibungen der zuvor erstellten Beschlagnahmelisten, die lediglich Unternehmen betrafen. Mit der Aufnahme eines Unternehmens auf eine der beiden Listen wurden daher die Schuldsprüche sämtlicher Unternehmensinhaber entweder bestätigt oder nicht bestätigt. Wenn in wenigen Ausnahmefällen keine Bestätigung oder Ablehnung der Bestätigung für sämtliche Betriebsinhaber erfolgt ist, ist dies jeweils auf den Listen entsprechend vermerkt. Schon damit wird belegt, daß sich die Bestätigungsentscheidungen des Magistrats jeweils auch auf die Schuldsprüche in den Enteignungsvorschlägen bezogen.

Nach der damaligen Rechtspraxis kam es auch auf keinerlei Formalitäten an, wie die Kammer des LG Berlin ohne jede Begründung unterstellt hat. Es war vielmehr ausreichend, daß das Bestätigungsorgan in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben hatte, daß es den ihr vorgelegten Vorschlägen folgte oder nicht. Dies wurde mit den Enteignungs- und den Rückgabeanordnungen des Magistratsbeschlusses hinreichend deutlich.

Auch die Behauptung des LG Berlin, der Magistratsbeschluß Nr. 91 habe schon deshalb keine Wirkung entfalten können, weil die Vermögenswerte unmittelbar durch das Gesetz zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten enteignet worden seien, kann bereits wegen des zeitlichen Ablaufs nicht richtig sein. Der Magistratsbeschluß Nr. 91 datiert vom 8. Februar 1949 und hat die Enteignungsvorschläge damit bestätigt oder nicht bestätigt. Auch das Gesetz zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten wurde zwar ebenfalls am 8. Februar 1949 beschlossen, trat aber erst am 9. Februar 1949 in Kraft.

Als Bestätigung der auf die KRD Nr. 38 gestützten Enteignungsvorschläge der DTV kam dem Magistratsbeschluß auch Strafcharakter zu, weil er die strafrechtlichen Enteignungsvorschläge damit rechtswirksam werden ließ.

Unvertretbar ist schließlich die Rechtsauffassung der Rehabilitierungskammer des LG Berlin, wenn sie die Auffassung vertritt, § 1 Abs. 5 StrRehaG erweitere den Anwendungsbereich des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nur um nicht-gerichtliche Entscheidung im Ermittlungsverfahren. Diese Beschränkung der Erweiterungsklausel ergibt sich schon nicht aus dem Wortlaut der Norm. Danach gilt das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz vielmehr entsprechend „für strafrechtliche Maßnahmen, die keine gerichtlichen Entscheidungen sind.“ Im übrigen erwähnt die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes (BT-Durcks. 12/1608, S. 18) als nichtgerichtliche Strafakte auch Maßnahmen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Die Begründung führt aber nur nicht abschließend aufgeführte Beispiele für von § 1 Abs. 5 StrRehaG erfaßte Strafmaßnahmen an. Dabei wird ausdrücklich sogar auch der Fall der Sicherstellung von Vermögenswerten durch das MfS außerhalb eines geregelten Strafverfahrens genannt. Damit wird ein den Maßnahmen der Kommissionen der DTV, die Vorgängerorgane des MfS waren, praktisch identischer Fall von Strafmaßnahmen genannt, der von § 1 Abs. 5 StrRehaG erfaßt werden soll. Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 StrRehaG und der Gesetzesbegründung ergibt sich im übrigen der mit der Norm verfolgte Zweck, das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz auf sämtliche, durch nichtgerichtliche Staatsorgane verübte Strafmaßnahmen auszudehnen. Für eine Beschränkung auf Strafmaßnahmen in Ermittlungsverfahren gibt es dagegen keine Rechtfertigung. Sie führte vielmehr zu dem sinnwidrigen Ergebnis, daß zumeist weniger einschneidende, vorläufige Strafmaßnahmen in Ermittlungsverfahren rehabilitiert werden könnten, besonders willkürliche, außerhalb eines geregelten Strafverfahrens verübte endgültige und schwerwiegende Strafakte dagegen nicht.

BGH, Urteil vom 16. März 2012 – V ZR 279/10

Das Urteil betrifft zwei Exponate der 4259 Plakate umfassenden Sammlung, die dem jüdischen Zahnarzt Dr. Hans Sachs 1938 von Mitarbeitern der Gestapo im Auftrag des Reichspropagandaministeriums unter Drohungen in Berlin-Schöneberg, das später zu Westberlin gehörte, entzogen wurden. Dr. Sachs verließ 1938 das Deutsche Reich. Die Sammlung geriet aufgrund der Kriegswirren in den Machtbereich der DDR, was er erst nach Ablauf der rückerstattungsrechtlichen Fristen erfuhr. Rückerstattungsansprüche machte er nicht geltend. Ein Verfahren nach dem Bundesrückerstattungsgesetz endete 1961 mit einem Vergleich, aufgrund dessen er einen Schadensersatz von 225.000.- DM erhielt. 1974 wurde er von seiner Ehefrau beerbt, die 1974 ihrerseits von ihrem Sohn beerbt wurde. Dieser machte für die beiden Plakate „Dogge“ und „Die blonde Venus“ zivilrechtliche Herausgabeansprüche gegen das Deutsche Historische Museum in Berlin geltend.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter:  

Prof. Dr. Wolfgang Krüger, Vorsitzender Richter am BGH
Dietlind Weinland, Richterin am BGH
Dr. Bettina Brückner, Richterin am BGH
Dr. Christina Stresemann, Richterin am BGH
Dr. Hans-Joachim Czub, Richter am BGH

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Das Urteil betrifft zwei Exponate der 4259 Plakate umfassenden Sammlung, die dem jüdischen Zahnarzt Dr. Hans Sachs 1938 von Mitarbeitern der Gestapo im Auftrag des Reichspropagandaministeriums unter Drohungen in Berlin-Schöneberg, das später zu Westberlin gehörte, entzogen wurden. Dr. Sachs verließ 1938 das Deutsche Reich. Die Sammlung geriet aufgrund der Kriegswirren in den Machtbereich der DDR, was er erst nach Ablauf der rückerstattungsrechtlichen Fristen erfuhr. Rückerstattungsansprüche machte er nicht geltend. Ein Verfahren nach dem Bundesrückerstattungsgesetz endete 1961 mit einem Vergleich, aufgrund dessen er einen Schadensersatz von 225.000.- DM erhielt. 1974 wurde er von seiner Ehefrau beerbt, die 1974 ihrerseits von ihrem Sohn beerbt wurde. Dieser machte für die beiden Plakate „Dogge“ und „Die blonde Venus“ zivilrechtliche Herausgabeansprüche gegen das Deutsche Historische Museum in Berlin geltend.

Der BGH hat diese Ansprüche bejaht. Er hat zwar erkannt, daß von der Berliner Rückerstattungsanordnung (REAO) erfaßten Vermögensgegenstände nur nach Maßgabe der Bestimmungen der REAO geltend gemacht werden konnten und zwar auch nur innerhalb der dort vorgesehenen Ausschlußfristen. Dies könne jedoch nicht gelten, wenn der Vermögensgegenstand im Zeitpunkt des Ablaufs der rückerstattungsrechtlichen Ausschlußfristen verschollen gewesen sei. Dann werde die Ausschlußwirkung der REAO durch den sie beherrschenden Grundsatz der Naturalrestitution begrenzt. Dies gelte auch trotz des Umstandes, daß Art. 26 Abs. 3 und Art. 27 Abs. 2 REAO auch Ansprüche auf Schadensersatz vorgesehen hätten. Daß diese selbst dann abschließend sein sollten, wenn der Vermögensgegenstand bei Ablauf der rückerstattungsrechtlichen Ausschlußfristen verschollen gewesen sei, ergebe sich aus der REAO aber nicht. Andernfalls hätten die Rückerstattungsbestimmungen dem Berechtigten jede Möglichkeit genommen, die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands zu verlangen und auf diese Weise das nationalsozialistische Unrecht perpetuiert. Dies aber sei mit Sinn und Zweck dieser Bestimmungen, die Interessen des Geschädigten zu schützen, nicht zu vereinbaren.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Die Entscheidung kommt zu einem moralisch sicherlich nachvollziehbaren Ergebnis, steht aber mit geltendem Recht erkennbar nicht in Einklang.

Daß die Rückerstattungsgesetze für verfolgungsbedingte Vermögensschädigungen unter NS-Herrschaft zivilrechtliche Ansprüche vollständig ausgeschlossen haben, hat den auf der Hand liegenden Grund, daß zivilrechtliche Vorschriften nicht auf die Besonderheiten des NS-Unrechts, sondern lediglich auf Störungen des allgemeinen Privatrechtsverkehrs reagieren. Deshalb ist es reiner Zufall, ob eine NS-Unrechtsmaßnahme auch von zivilrechtlichen Bestimmungen als Makel erfaßt werden, der geeignet wäre, zivilrechtliche Herausgabeansprüche zu begründen. Daher begründete ein Rückgriff auf zivilrechtliche Vorschriften eine willkürliche Rückgabepraxis, die dem unter NS-Herrschaft verübten Unrecht in keiner Weise gerecht wird. Dies belegt, daß die Annahme des BGH, der in der Rückerstattungsanordnung vorgesehene Ausschluß zivilrechtlicher Ansprüche gelte nicht in den Fällen der Verschollenheit im Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlußfristen, nicht zutreffend sein kann. Der Grund für die Nichtanwendung zivilrechtlicher Anspruchstatbestände, eine willkürliche Herausgabepraxis zu verhindern, gilt unabhängig von der Verschollenheit des entzogenen Vermögensgegenstandes.

Vergleichbares gilt auch für die Darlegung des BGH, die Wirkung der Ausschlußfristen gelte bei verschollenen Vermögensgegenständen nicht. Die Ausschlußfristen dienten dazu, mit ihrem Ablauf Rechtssicherheit herzustellen, um den künftigen Rechtsverkehr und den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands nicht zu gefährden. Dieser Zweck bestand unabhängig davon, ob Vermögensgegenstände im Zeitpunkt des Fristablaufs vorhanden oder verschollen waren.

Zudem ist es erkennbar unzutreffend, wenn der BGH darlegt, die Rückerstattungsbestimmungen hätten dann dem Berechtigen dann, wenn ihm keine zivilrechtlichen Herausgabeansprüche zugestanden würden, jede Möglichkeit genommen, einen zunächst verschollenen, später aufgefundenen Vermögensgegenstand zurückzuerhalten. Vielmehr konnten Rückerstattungsansprüche auch dann angemeldet werden, wenn deren Verbleib unbekannt war. Dies belegen bereits die Vorschriften in Art. 26 Abs. 3, Art. 27 Abs. 2 REAO, die bei verschollenen Vermögensgegenständen Schadensersatzansprüche begründeten. Mit dem Auffinden des Vermögensgegenstandes hatten Berechtigte dann die Möglichkeit, das Wiederaufgreifen des rückerstattungsrechtlichen Verfahrens mit dem Ziel zu beantragen, die Rückerstattung des wieder aufgefundenen Vermögensgegenstandes gegen Rückgabe des erhaltenen Schadensersatzes zu erwirken. Wird dem Berechtigte, der rückerstattungsrechtliche Ausschlußfristen versäumt hat, in den Fällen verschollener Vermögensgegenstände ein zivilrechtlicher Herausgabeanspruch zugestanden, so wird er ungerechtfertigt gegenüber solchen Berechtigten bevorzugt, die die Ausschlußfristen bei Vermögensgegenständen versäumt haben, deren Vorhandensein bei Fristablauf bekannt war.

Die Zubilligung zivilrechtlicher Herausgabeansprüche birgt zudem die Gefahr einer doppelten Wiedergutmachung in sich. Hat der Berechtigte, wie auch Dr. Sachs, bereits einen Schadensersatz etwa nach dem Bundesrückerstattungsgesetz erhalten, erhält er mit der Herausgabe des wieder aufgefundenen Vermögensgegenstandes eine doppelte Wiedergutmachung, wird also bessergestellt als er vor der Schädigung stand. Trotzdem hat die Rückerstattungsbehörde keine Möglichkeit, den gezahlten Schadensersatz zurückzufordern, weil dafür die notwendigen gesetzlichen Grundlagen fehlen. Daran hat der Gesetzgeber schon deshalb nicht denken müssen, weil er davon ausgegangen ist, daß zivilrechtliche Herausgabeansprüche von den rückerstattungsrechtlichen Vorschriften vollständig verdrängt werden.

Die Entscheidung des BGH hat außerdem zur Folge gehabt, daß der unzutreffende Eindruck entstanden ist, NS-Verfolgten könnten auch aktuell noch zivilrechtliche Ansprüche durchsetzen. Dies hatte auch den unglücklichen Effekt, daß der Gesetzgeber keine Veranlassung mehr gesehen hat, erneut über die Notwendigkeit, Rückerstattungsansprüche einzuräumen, nachzudenken.

LG Schwerin, Beschluss vom 12.02.2009 – 137 Rhs 39/06

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter:
Sigrun Meermann, Vorsitzende Richterin am LG
Wilfried Thomas Vorsitzender Richter am LG
Katja Surminski Richterin am LG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung:
Die Entscheidung der Rehabilitierungskammer betrifft den Fall der Verfolgung eines Gutsbesitzers mit einem Anwesen von über 100 ha im Rahmen der sog. Bodenreform. Den deshalb gestellten Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung haben die Richter der Rehabilitierungskammer mit der Begründung abgelehnt, die Verfolgung sei keine Vergeltung für missbilligtes individuelles Fehlverhalten gewesen, weshalb deren strafrechtlicher Charakter gefehlt habe. Die Bestimmungen in der Bodenreformverordnung, dass der „Herrschaft der Junker und Großgrundbesitzer ein Ende zu bereiten sei“, da diese „Herrschaft immer ein Hauptpfeiler der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande und eine Hauptquelle der Aggression und der Eroberungskriege war, die sich gegen andere Völker richtete“, seien „rein politische Ausführungen, um die Bodenreform zu rechtfertigen.“ Die Enteignung habe daher (allein) auf dem Umstand beruht, dass die betreffenden Güter größer als 100 ha waren.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist:
Unvertretbar ist die Entscheidung der Kammer schon deshalb, weil die Frage der Auslegung der in der SBZ erlassenen Bodenreformverordnung kein bundesdeutsches Recht betrifft und daher als sog. Rechtstatsache nach Maßgabe von § 10 I StrRehaG anhand der Ausführungsbestimmungen der Bodenreformverordnung, der zeitgenössischen Rechtspraxis einschließlich der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR (OG), dem damaligen sozialistischen Strafrechtsverständnis und der für die Entnazifizierung geltenden Systematik nach Maßgabe des SMAD-Befehls Nr. 201 und der dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen im Wege des Freibeweises zu ermitteln sind. Diese Pflicht zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts der Verfolgung hat die Kammer schwerwiegend verletzt, weil insofern sämtliche entscheidungserheblichen Feststellungen fehlen. Ausweislich der Entscheidungsgründe setzt die mit der damaligen Verfolgungspraxis der Bodenreform offenbar nicht vertraute Kammer vielmehr subjektives, durch nichts begründetes Verständnis an die Stelle der nach § 10 I StrRehaG zu ermittelnden Rechtstatsachen und ersetzt diese durch ergebnisorientierte Gesinnungsrechtsprechung und pflichtwidrige Arbeitsverweigerung.

Wäre die Kammer ihrer Ermittlungspflicht nachgekommen, hätte sie feststellen müssen, dass ihre laienhafte Vorstellung von Inhalt und Zweckrichtung mit den maßgeblichen Rechtstatsachen der Verfolgung unvereinbar ist. Tatsächlich ist gegen den Betroffenen nach dem in der SBZ geltenden sozialistischen Rechtsverständnis der spezifisch strafrechtliche Vorwurf erhoben worden, er sei als Junker und Großgrundbesitzer Mitglied der Bande der Reaktion und des Faschismus und sei deshalb Hauptquelle der Aggression und der Eroberungskriege gewesen. Die gegenteilige Behauptung der Kammer, die allein die Grundstücksgröße als Inhalt der gesetzlichen Regelung in der Bodenreformverordnung gelten lässt und die spezifisch strafrechtlichen, im Normtext der Bodenreformverordnung ausdrücklich enthaltenen Vorwürfe als lediglich politische und daher als vermeintlich unbeachtliche Ausführungen abtut, verkennt bereits, dass nicht nur die Hofgröße, sondern auch der Vorwurf gesetzlich vorgegeben war. Deshalb kann er nicht nur politisch-plakativ relevant gewesen sein, sondern war rechtlich maßgeblich. Sofern die Kammer etwas Gegenteiliges in den Raum stellt, hätte sie dies anhand konkreter Rechtstatsachen und der Feststellungen, die bereits das BVerfG in der sog. KPD-Verbotsentscheidung (BVerfGE 5, 85, 147, 161ff., 207ff.) getroffen hat, belegen müssen. Dafür ist freilich nichts ersichtlich.

Ein solcher Nachweis ist vielmehr schon deshalb nicht möglich, weil die Annahme der Kammer dem grundsätzlichen Anliegen des seinerzeit maßgeblichen sozialistischen Strafrechts widerspräche. Es diente gerade nicht oder jedenfalls nicht primär der Durchsetzung eines konkreten individuellen oder öffentlichen Rechtsgüterschutzes. Vielmehr bezweckte es, rücksichtslos den von den Forderungen der Arbeiterklasse und der an ihrer Seite kämpfenden Partei diktierten unerbittlichen Klassenkampf gegen den Klassenfeind durchzusetzen. Klassenfeinde waren nach sozialistischem Verständnis per se die Junker, Feudalherren und Großgrundbesitzer, die aufgrund des ideologischen Versatzstücks des kommunistischen Antifaschismus stets auch Nazifaschisten waren. Der mit der Bodenreform verfolgte Zweck war deshalb primär darauf gerichtet, den Klassenfeind für sein reaktionäres, faschistisches und aggressives Verhalten zur Verantwortung zu ziehen. Dazu mussten keine einzelnen Taten angegeben werden. Der individuelle Vorwurf richtete sich bereits darauf, dass der Betroffene Junker oder Großgrundbesitzer war, die dem sozialistischen Strafrecht per se als kriminelle Bande galten. Dass allein der Vorwurf, Mitglied einer kriminellen Bande zu sein, auf ein sozialethisch verwerfliches Verhalten gerichtet und daher spezifisch strafrechtlicher Natur ist, belegen etwa bereits die bundesdeutschen Straftatbestände des § 129 StGB (Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung) und des § 129a StGB (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung).

Dass Grund der Verfolgung nicht die Hofgröße, sondern ein individueller Schuldvorwurf war, ergibt sich auch aus dem Umstand, dass Ausführungsbestimmungen zur Bodenreformverordnung dem Betroffenen die Möglichkeit eröffneten nachzuweisen, ein aktiver Antifaschist gewesen zu sein. In diesem Fall galt er nicht als Reaktionär, Aggressor und Faschist. Die in den Bodenreformen gesetzlich vermuteten Vorwürfe wurden also – gleichsam aufgrund einer Umkehr der Beweislast – nicht mehr mit der Folge erhoben, dass er einen Resthof behalten durfte und nicht mit seiner Familien vertrieben wurde. Dass auch diese Bestimmung zum Nachteil der Betroffenen in schwerwiegender Weise missbraucht worden ist, ändert nichts daran, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen ein individueller Vorwurf erforderlich war, um die Verfolgung nach Maßgabe der Bodenreformverordnung durchzuführen.

Die Bestimmung der Hofgröße selbst diente angesichts dieser Zweckrichtung der Bodenreformverordnung lediglich der Bestimmung der Personen, deren Strafbarkeit als Reaktionäre, Aggressoren und Faschisten gesetzlich vermutet wurde und die lediglich die Möglichkeit haben sollten, sich durch den Gegenbeweis ihrer Schuld zu exkulpieren. Dies folgt zwingend auch aus dem Umstand, dass eine Verfolgung von Landwirten mit einer Hofgröße unter 100 ha nur dann stattfinden durfte, wenn ihnen – nach den Straftatbeständen in den Ausführungsbestimmungen zur Bodenreformverordnung – Handlungen oder Verhaltensweisen nachgewiesen werden konnten, die sie als Nazi- und Kriegsverbrecher auswies.

Nach dem damaligen Rechtsverständnis in der SBZ ergab sich die Legitimation zur Bodenreform im übrigen aus den Vereinbarungen des Potsdamer Abkommens. Danach waren Zugriffe auf Vermögenswerte von Zivilpersonen nur zum Zweck der Demilitarisierung, der Dekonzentration von Konzernen und der Bestrafung von Kriegs- und Naziverbrechern zugelassen. Auch daraus ergibt sich, dass die damaligen Machthaber die Verfolgung durch die sog. Bodenreform als spezifisch strafrechtlich aufgefasst haben, weil sie nur aufgrund einer Bestrafung auf das Potsdamer Abkommen gestützt werden konnte.

Die sog. Bodenreform war im übrigen ein wesentlicher Teil der in der SBZ durchgeführten Entnazifizierung. Diese ist dort nach grundsätzlich anderen rechtlichen Vorgaben durchgeführt worden als in den westlichen Besatzungszonen. 1945 ist dazu zwar noch kein besonderes Verfahrensrecht erlassen worden. Grund dafür war u.a. der Umstand, dass die sowjetische Besatzungsmacht erst mit dem SMAD-Befehl Nr. 201 die grundsätzliche Zuständigkeit zur Entnazifizierung an deutsche Organe delegiert hatte und sie zuvor nach Maßgabe des KRG Nr. 10 noch durch eigene Organe wahrgenommen hatte, soweit sie nicht bereits für bestimmte Sanktionen – insbesondere für Vermögenseinziehungen – ausnahmsweise an deutsche Kommissionen übertragen war.

Dennoch legitimiert der SMAD-Befehl Nr. 201 noch nachträglich die Verfahrensweise bei der Bodenreform als Entnazifizierungsmaßnahme und bezieht sie ausdrücklich in das durch den Befehl geschaffene Rechtssystem der Entnazifizierung ein. Dies ergibt sich zum einen aus der Präambel des Befehls und zum anderen aus Ziff. 5 SMAD-Befehl Nr. 201 und Ziff. 20 Ausführungsbestimmung Nr. 3 zum SMAD-Befehl Nr. 201, wonach die Landesregierungen, welche auch die Entscheidungen der Bodenreform abschließend genehmigt haben, den justitiellen Straforganen der Entnazifizierung (sog. SMAD-Befehl Nr. 201-Gerichte) ausdrücklich gleichgestellt wurden.

Innerhalb des Systems des SMAD-Befehls Nr. 201 besteht kein Zweifel, dass die Bodenreformverfolgungen als spezifisch strafrechtlich bestimmt wurden. Der Befehl hat zwei unterschiedliche Entnazifizierungsverfahren etabliert: Zum einen ein verwaltungsrechtliches, in dem ausschließlich Maßnahmen der politischen Säuberung nach Maßgabe der KRD Nr. 24 verhängt werden konnten, und ein spezifisch strafrechtliches, in dem die in der KRD Nr. 38 vorgesehenen Sanktionen ausgesprochen wurden. Insbesondere die Vermögenseinziehung war den verwaltungsrechtlichen Entnazifizierungskommissionen ausdrücklich untersagt. Sie war ausschließlich den Strafverfolgungsorganen (SMAD-Befehl Nr. 201 Gerichte und diesen gleichgestellte Verwaltungsorgane) vorbehalten (Ziff. 5 SMAD-Befehl Nr. 201, Ziff. 20 Ausführungsbestimmung Nr. 3 zum SMAD-Befehl Nr. 201). Daher war die individuell verhängte Sanktion der Vermögenseinziehung immer spezifisch strafrechtlicher Natur. Gleiches gilt für die damit unmittelbar zusammenhängende Sanktion der Vertreibungs- und Deportationsentscheidung.

Und schließlich: Auch die Rechtsprechung des OG hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die Maßnahmen der sog. Bodenreform nach seinerzeit geltendem Rechtsverständnis ausschließlich spezifisches Strafrecht darstellten.

Mit all diesen Umständen, die als Rechtstatsachen etwa im Landeshauptarchiv Schwerin ermittelt werden können, haben sich die Richter der Rehabilitierungskammer des LG Schwerin nicht im Ansatz befasst. Vielmehr haben sie gemeint, anstatt einer Aufklärung der tatsächlichen Verfolgungszusammenhänge ihr subjektives, aus dem Zusammenhang gerissenes Verständnis setzen zu können. Mit geltendem Recht ist ein solches Vorgehen unvereinbar.

LG Dresden, Beschluß vom 8. August 2008 – BSRH 22/06

Der Beschluß des LG Dresden vom 8. August 2008 ist im Rahmen eines strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens ergangen, das einen Fall der von Sachsen ausgehenden sog. Industriereform zum Gegenstand hat. In diesem Verfahren hat der Antragsteller insbesondere vorgetragen, die bisherige Rechtsprechung der strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte sei beim Fällen im Zusammenhang mit dem sächsischen Volksentscheid von einem unzutreffenden und in wesentlicher Hinsicht verkürzten Sachverhalt ausgegangen und habe weder die zutreffenden Rechtsgrundlagen der Verfolgung noch die tatsächlich verhängten Sanktionen ermittelt. Dazu sind diverse Dokumente zu dem verübten Verfolgungsgeschehen vorgelegt worden.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Gerd Halfar, Präsident des LG
Martin Schulze-Griebler, Vizepräsident des LG
Sabine Hofmann, Richterin am LG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Der Beschluß des LG Dresden vom 8. August 2008 ist im Rahmen eines strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens ergangen, das einen Fall der von Sachsen ausgehenden sog. Industriereform zum Gegenstand hat. In diesem Verfahren hat der Antragsteller insbesondere vorgetragen, die bisherige Rechtsprechung der strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte sei beim Fällen im Zusammenhang mit dem sächsischen Volksentscheid von einem unzutreffenden und in wesentlicher Hinsicht verkürzten Sachverhalt ausgegangen und habe weder die zutreffenden Rechtsgrundlagen der Verfolgung noch die tatsächlich verhängten Sanktionen ermittelt. Dazu sind diverse Dokumente zu dem verübten Verfolgungsgeschehen vorgelegt worden.

Wegen des bislang in der Rechtsprechung nicht behandelten Sachvortrags sah es die Kammer für Rehabilitierung des LG Dresden für erforderlich an, eine mündliche Erörterung anzuberaumen. Hierauf hat der Antragsteller durch seine Anwälte in einer „Presseerklärung“ hinweisen lassen, in der er seine Rechtsposition in wenigen Worten dargelegt und besonders deutlich gemacht hat, bislang seien sämtliche strafrechtlichen Rehabilitierungsanträge zum Verfolgungskomplex der sog. Industriereform ohne mündliche Erörterung abgelehnt worden.

Von dieser „Presseerklärung“, die im Internet nachgelesen werden konnte, hat die Kammer für Rehabilitierung Kenntnis erhalten und den bereits anberaumten Termin zur mündlichen Erörterung wieder aufgehoben und bestimmt, daß über den Rehabilitierungsantrag ausschließlich im schriftlichen Verfahren entschieden werden solle. Diesen Beschluß hat sie damit begründet, der Termin zur mündlichen Erörterung sei bestimmt worden, um dem Antragsteller Gelegenheit zu geben, seine auf einem besonders umfangreichen schriftlichen Sachvortrag beruhende und einer von der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des OLG Dresden abweichenden Rechtsauffassung mündlich abschließend zu erörtern. Wegen der im Internet verbreiteten Presseerklärung sei aber eine zusätzliche Aufbereitung des Verfahrensstoffs entgegen der ursprünglichen Annahme des Gerichts durch eine mündliche Erörterung nicht mehr zu erwarten. In der Presseerklärung sei insofern der Eindruck erweckt worden, die Kammer habe bereits durch die Bestimmung des Erörterungstermins zu erkennen gegeben, geneigt zu sein, ihre bisherige ständige Rechtsprechung aufzugeben. Zudem sei angekündigt worden, im Erörterungstermin „ein wichtiges Stück Zeitgeschichte aufzudecken“. Auch dies deute darauf hin, daß die mündliche Erörterung als öffentliches Forum genutzt werden sollte.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Abweichend von den vor den Verwaltungsgerichten durchzuführenden Verfahren zur Überprüfung einer verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsentscheidung sieht das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz grundsätzlich eine Entscheidung ohne mündliche Erörterung vor. Das Gericht kann sie aber anordnen, wenn es dies zur Aufklärung des Sachverhalts oder aus anderen Gründen für erforderlich hält (§ 11 Abs.3 StrRehaG). Die Entscheidung, eine mündliche Erörterung anzuberaumen, steht damit nicht im Belieben des Gerichts. Vielmehr hat es darüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.

Die Entscheidung der Kammer des LG Dresden, den Termin zur mündlichen Erörterung nachträglich wieder aufzuheben, ist danach aus mehreren Gründen unhaltbar und rechtswidrig. Das dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgericht obliegende Ermessen bei der Entscheidung über die Durchführung einer mündlichen Erörterung war in diesem Fall auf Null reduziert, weil der Vortrag des Antragstellers den Inhalt zuvor gestellter Rehabilitierungsanträge bei weitem überstieg, weil er die Verfolgungssituation, die bislang weder zeithistorisch noch juristisch aufgearbeitet ist, mit vielen Details und bislang unbekannten Dokumenten belegt hat und weil die Kammer in ihrer Rechtsprechung jeweils von einem anderen Sachverhalt ausgegangen ist. Wegen der Ermessensreduzierung auf Null war die Kammer gehalten, eine mündliche Erörterung durchzuführen. Die Aufhebung des Erörterungstermins war schon deshalb rechtswidrig.

Im übrigen läßt die Begründung für die Aufhebung des Erörterungstermins schwere Rechtsfehler erkennen. Grundlos ist bereits die Annahme, von der mündlichen Erörterung sei wegen der vom Antragsteller und seinen Rechtsanwälten herausgegebenen Presseerklärung eine weitere Klärung des Verfahrensstoffs nicht mehr zu erwarten. Dies gilt schon deshalb, weil der Kammer nicht bekannt sein konnte, was noch im Erörterungstermin verhandelt werden würde. Dann fehlt jeder Anhaltspunkt für Annahme der Kammer, ein von ihr zunächst angenommener Aufklärungsbedarf sei durch die Presseerklärung wieder entfallen.

Ingesamt macht der Beschluß auch ein problematisches Grundrechtsverständnis der Kammer offenkundig. Ein Antragsteller ist schon durch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) legitimiert, seine Auffassungen zu einem Gerichtsverfahren, zu einzelnen Verfahrensschritten und zu der dort thematisierten Verfolgungssituation zu äußern. Darüber hinaus besteht an den vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalten auch ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, weil sowohl das Verfahren vor dem LG Dresden als auch die ihm zugrunde liegenden Vorgänge der sog. Industriereform rechtlich und zeithistorisch außergewöhnlich sind und die Gesellschaft im demokratischen Rechtsstaat bewegen. Auch die Befriedigung eines legitimen Informationsbedürfnisses steht unter dem Schutz des Grundgesetzes (Art. 5 Abs. 1 a.E. GG). Wenn die Kammer die Presseerklärung zum Anlaß nimmt, einen bereits anberaumten Erörterungstermin wieder aufzuheben und dem Antragsteller damit einen Rechtsnachteil zuzufügen, dann greift sie mit solchen Maßnahmen in verfassungswidriger Weise in die Meinungsfreiheit des Antragstellers ein. Auch deshalb ist das Vorgehen der Kammer rechtsstaatlich untragbar.

Wegen dieses Verfahrens ist die Bundesrepublik Deutschland auch vom EGMR mit Urteil vom 9. Juni 2016 – 44164/14 wegen Verletzung der Garantie der öffentlichen Gerichtsverhandlung (Art. 6 Abs. 1 EMRK) verurteilt worden.

LG Dresden, Beschluß vom 2. April 2008 – BSRH 14/06

Der Beschluß ist aufgrund eines Antrags auf strafrechtliche Rehabilitierung des Rechtsnachfolgers eines von der sächsischen Kommission für Beschlagnahme und Sequestration als Kriegsinteressent beschuldigten Betroffenen ergangen, dem als Folge von im Zusammenhang mit dem Sächsischen Volksentscheid erhobenen Schuldvorwürfen diverse betriebliche Vermögenswerte entzogen worden sind. In dem Rehabilitierungsantrag hatte der Antragsteller Aufhebung der konkret gegen ihn erhobenen Schuldvorwürfe und die Rückgabe der deshalb entzogenen Vermögenswerte verlangt.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter:

Gerd Halfar Position: Präsident des LG
Martin Schulze-Griebler Position: Vizepräsident des LG
Sabine Hofmann Position: Richterin am LG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Auf die Schuldvorwürfe geht die Kammer des LG Dresden nicht mit einem Wort ein. Vielmehr hält sie den Antrag für unzulässig. Dazu legt die Kammer zunächst dar, nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers sei die Sequestrierung der Vermögenswerte auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30.10.1945 erfolgt und sie sei durch den SMAD-Befehl Nr. 64 vom 17.4.1948 bestätigt worden. Ohne jede Begründung behauptet die Kammer dann: „Die Sequestration ist daher als besatzungsrechtliche Maßnahme anzusehen, die einer Rehabilitierung nach dem StrRehaG nicht zugänglich ist.“

Darüber hinaus meint die Kammer, die zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen seien nicht strafrechtlicher Natur. Dazu macht sie zwar etwas längere, standardmäßig formulierte Ausführungen. Grund für die Ablehnung des strafrechtlichen Charakters ist dabei aber allein die Auffassung der Kammer, mit den Maßnahmen sei kein spezifischer Strafzweck verfolgt worden.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Der Beschluß krankt bereits entscheidend an dem Umstand, daß die Richter über einen nicht zur Rehabilitierung gestellten Sachverhalt entschieden haben. Der Antragsteller hat die Rehabilitierung wegen der gegen ihn erhobener Schuldvorwürfe und wegen der deshalb u.a. erfolgten „Einziehung des betrieblichen Vermögens“ beantragt. Die Kammer entscheidet dagegen allein über eine „Sequestration“, also über eine nur vorläufige Vermögensbeschlagnahme, die als solche mit keinem Schuldvorwurf verbunden war und lediglich der zeitweiligen Sicherung von Vermögenswerten diente, um eine weitere Untersuchung zu ermöglichen. Allein für diese Maßnahmen war die von der Kammer herangezogene Rechtsgrundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 maßgeblich.

Die vom Rehabilitierungsantrag tatsächlich erfaßten Maßnahmen, über welche die Kammer ausweislich ihrer Entscheidungsgründe überhaupt nicht entschieden hat, waren dagegen auf die der Kammer bekannten Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid gestützt, der im Vorgriff auf die KRD Nr. 38 konkrete Straftatbestände enthielt und auf deren Grundlage die Schuldvorwürfe gegen den Betroffenen erhoben worden waren.

Der schwere Fehler, ausweislich der Entscheidungsgründe über einen vollständigen anderen Sachverhalt als den zur Rehabilitierung gestellten entschieden zu haben, ist auch nicht dadurch entschuldbar, daß sich der Antragsteller darauf berufen haben mag, Rechtsgrundlage der Verfolgungsmaßnahmen sei der SMAD-Befehl Nr. 124 gewesen. Vielmehr ist die Kammer nach § 10 I StrRehaG verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Dazu gehört auch die seinerzeit in der SBZ angewandte Rechtsgrundlage, die eine dem Beweis zugängliche sog. Rechtstatsache darstellt, weil es sich dabei um Rechtssätze einer nicht bundesdeutschen Rechtsordnung gehandelt hat.

Einen weiteren schweren Gesetzesverstoß hat die Kammer mit der Behauptung begangen, eine strafrechtliche Rehabilitierung sei ausgeschlossen, „weil es sich insoweit um eine Maßnahme auf besatzungsrechtlicher Grundlage handelt, die einer Rehabilitierung durch deutsche Stellen nicht zugänglich ist.“ Diese durch nichts belegte Darlegung ist mit dem Regelungsgehalt des § 1 I, V StrRehaG unvereinbar. Danach gilt das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz immer dann, wenn eine strafrechtliche Entscheidung im Zeitraum vom 8.5.1945 bis zum 2.10.1990 eines deutschen Gerichts oder eines nicht-gerichtlichen Organs mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlich rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist. Haben daher deutsche Gerichte oder nicht-gerichtliche Organe in der SBZ auf besatzungsrechtlicher Grundlage, etwa der ersten, in der SBZ angewandten Wirtschaftsstrafgesetzgebung des SMAD-Befehls Nr. 160, entschieden, besteht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß eine strafrechtliche Rehabilitierung wegen des besatzungsrechtlichen Charakters der deutschen Stellen ausgeschlossen sein könnte. Nicht anwendbar ist das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz für Strafmaßnahmen in der SBZ nur dann nicht, wenn diese von sowjetischen Organen verhängt worden sind.

Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz setzt insofern die zwischen den beiden deutschen Staaten im Einigungsvertrag getroffenen Vereinbarungen um. Nach Art. 17 EVertr bekräftigen beide Staaten „ihre Absicht, daß unverzüglich eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wird, daß die Personen rehabilitiert werden können, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats- und verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung geworden sind.“ Ausnahmen von dieser Vereinbarung für Strafverfolgungsmaßnahmen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enthält der Einigungsvertrag an keiner Stelle.

Dies gilt auch für die Regelungen der Gemeinsamen Erklärung, die nach Art. 41 I EVertr Bestandteil des Einigungsvertrages geworden sind. Nr. 1 Satz 1 GemErkl. sieht zwar vor, daß Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage nicht mehr rückgängig gemacht werden. Diese Vereinbarung erfaßt aber nicht auch strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen. „Soweit es zu Vermögenseinziehungen im Zusammenhang mit rechtsstaatswidrigen Strafverfahren gekommen ist,“ hat sich die DDR nach Nr. 9 GemErkl. vielmehr verpflichtet, „die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Korrektur in einem justizförmigen Verfahren (zu) schaffen“.

Die Behauptung der Rehabilitierungskammer des LG Dresden, der besatzungsrechtliche Charakter einer Maßnahme stehe einer strafrechtlichen Rehabilitierung per se entgegen, verletzt damit in schwerwiegender Weise das geltende Recht, das vielmehr in seltener Eindeutigkeit das genaue Gegenteil regelt.

Der weitere Begründungsstrang, die zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen hätten keinen strafrechtlichen Charakter aufgewiesen, sondern seien Verwaltungsmaßnahmen gewesen, weil sie lediglich der Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse im Bereich der Wirtschaft und damit keinem spezifischen Strafzweck gedient hätten, ist ebenfalls unhaltbar. Diese Aussage ist allein darauf zurückzuführen, daß die Kammer unter Verstoß gegen § 10 I StrRehaG nicht die tatsächliche Rechtsgrundlage, auf welche die Verfolgung im Rahmen des sächsischen Volksentscheides gestützt war, ermittelt hat. Die seinerzeit maßgeblichen Richtlinien des sächsischen Volksentscheides, auf welche die Schuldvorwürfe und die weitere Verfolgung der betroffenen Industriellen gestützt war, haben im Gegenteil ausdrücklich bestimmt, daß es sich dabei um keine wirtschaftliche Maßnahme handele, sondern daß allein Maßnahmen gegen Kriegsverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten ergriffen werden sollten. Schon damit ist der von der Rehabilitierungskammer behauptete Zweck der Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse im Bereich der Wirtschaft klar widerlegt.

Das Unrecht der kommunistischen Machthaber in der SBZ bestand darin, daß den Betroffenen willkürlich schwerste Straftaten zur Last gelegt und darauf gestützt ihnen gegenüber erhebliche Sanktionen verhängt wurden. Durch diese das geltende Rehabilitierungsrecht derart offen mißachtende Entscheidung der Rehabilitierungskammer wird das kommunistische Verfolgungsunrecht nicht nur perpetuiert. Vielmehr ist den beteiligten Richtern vorzuhalten, dabei ähnlich willkürlich wie seinerzeit die kommunistischen Machthaber vorgegangen zu sein, weil sie geltendes Recht willkürlich in das genaue Gegenteil seines Regelungsgehalts verkehrt haben, um dem Betroffenen die gesetzlich vorgesehene strafrechtliche Rehabilitierung zu versagen

Im Hinblick darauf, daß Dresden mit dem Sächsischen Volksentscheid Vorreiter für die Verfolgung Industrieller war, kommt der Entscheidung der Dresdener Rehabilitierungskammer eine besonders negative Symbolfunktion zu. Der Beschluss zeigt deutlich, in welch grober Weise eine korrekte Sachverhaltsprüfung unterblieben ist und eklatante Normanwendungsfehler begangen wurden. Da zudem jedes Judiz Rechtsfolgenwirkungen hat, erzeugt eine solche Rechtsprechung u.U. fortwirkend weiteres Unrecht.