Wortlaut der Entscheidung
Verantwortliche Richter:
Gerd Halfar, Präsident des LG
Martin Schulze-Griebler, Vizepräsident des LG
Sabine Hofmann, Richterin am LG
Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung:
Der Beschluß des LG Dresden vom 8. August 2008 ist im Rahmen eines strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens ergangen, das einen Fall der von Sachsen ausgehenden sog. Industriereform zum Gegenstand hat. In diesem Verfahren hat der Antragsteller insbesondere vorgetragen, die bisherige Rechtsprechung der strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte sei beim Fällen im Zusammenhang mit dem sächsischen Volksentscheid von einem unzutreffenden und in wesentlicher Hinsicht verkürzten Sachverhalt ausgegangen und habe weder die zutreffenden Rechtsgrundlagen der Verfolgung noch die tatsächlich verhängten Sanktionen ermittelt. Dazu sind diverse Dokumente zu dem verübten Verfolgungsgeschehen vorgelegt worden.
Wegen des bislang in der Rechtsprechung nicht behandelten Sachvortrags sah es die Kammer für Rehabilitierung des LG Dresden für erforderlich an, eine mündliche Erörterung anzuberaumen. Hierauf hat der Antragsteller durch seine Anwälte in einer „Presseerklärung“ hinweisen lassen, in der er seine Rechtsposition in wenigen Worten dargelegt und besonders deutlich gemacht hat, bislang seien sämtliche strafrechtlichen Rehabilitierungsanträge zum Verfolgungskomplex der sog. Industriereform ohne mündliche Erörterung abgelehnt worden.
Von dieser „Presseerklärung“, die im Internet nachgelesen werden konnte, hat die Kammer für Rehabilitierung Kenntnis erhalten und den bereits anberaumten Termin zur mündlichen Erörterung wieder aufgehoben und bestimmt, daß über den Rehabilitierungsantrag ausschließlich im schriftlichen Verfahren entschieden werden solle. Diesen Beschluß hat sie damit begründet, der Termin zur mündlichen Erörterung sei bestimmt worden, um dem Antragsteller Gelegenheit zu geben, seine auf einem besonders umfangreichen schriftlichen Sachvortrag beruhende und einer von der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des OLG Dresden abweichenden Rechtsauffassung mündlich abschließend zu erörtern. Wegen der im Internet verbreiteten Presseerklärung sei aber eine zusätzliche Aufbereitung des Verfahrensstoffs entgegen der ursprünglichen Annahme des Gerichts durch eine mündliche Erörterung nicht mehr zu erwarten. In der Presseerklärung sei insofern der Eindruck erweckt worden, die Kammer habe bereits durch die Bestimmung des Erörterungstermins zu erkennen gegeben, geneigt zu sein, ihre bisherige ständige Rechtsprechung aufzugeben. Zudem sei angekündigt worden, im Erörterungstermin „ein wichtiges Stück Zeitgeschichte aufzudecken“. Auch dies deute darauf hin, daß die mündliche Erörterung als öffentliches Forum genutzt werden sollte.
Warum die Entscheidung unvertretbar ist:
Abweichend von den vor den Verwaltungsgerichten durchzuführenden Verfahren zur Überprüfung einer verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsentscheidung sieht das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz grundsätzlich eine Entscheidung ohne mündliche Erörterung vor. Das Gericht kann sie aber anordnen, wenn es dies zur Aufklärung des Sachverhalts oder aus anderen Gründen für erforderlich hält (§ 11 Abs.3 StrRehaG). Die Entscheidung, eine mündliche Erörterung anzuberaumen, steht damit nicht im Belieben des Gerichts. Vielmehr hat es darüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
Die Entscheidung der Kammer des LG Dresden, den Termin zur mündlichen Erörterung nachträglich wieder aufzuheben, ist danach aus mehreren Gründen unhaltbar und rechtswidrig. Das dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgericht obliegende Ermessen bei der Entscheidung über die Durchführung einer mündlichen Erörterung war in diesem Fall auf Null reduziert, weil der Vortrag des Antragstellers den Inhalt zuvor gestellter Rehabilitierungsanträge bei weitem überstieg, weil er die Verfolgungssituation, die bislang weder zeithistorisch noch juristisch aufgearbeitet ist, mit vielen Details und bislang unbekannten Dokumenten belegt hat und weil die Kammer in ihrer Rechtsprechung jeweils von einem anderen Sachverhalt ausgegangen ist. Wegen der Ermessensreduzierung auf Null war die Kammer gehalten, eine mündliche Erörterung durchzuführen. Die Aufhebung des Erörterungstermins war schon deshalb rechtswidrig.
Im übrigen läßt die Begründung für die Aufhebung des Erörterungstermins schwere Rechtsfehler erkennen. Grundlos ist bereits die Annahme, von der mündlichen Erörterung sei wegen der vom Antragsteller und seinen Rechtsanwälten herausgegebenen Presseerklärung eine weitere Klärung des Verfahrensstoffs nicht mehr zu erwarten. Dies gilt schon deshalb, weil der Kammer nicht bekannt sein konnte, was noch im Erörterungstermin verhandelt werden würde. Dann fehlt jeder Anhaltspunkt für Annahme der Kammer, ein von ihr zunächst angenommener Aufklärungsbedarf sei durch die Presseerklärung wieder entfallen.
Ingesamt macht der Beschluß auch ein problematisches Grundrechtsverständnis der Kammer offenkundig. Ein Antragsteller ist schon durch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) legitimiert, seine Auffassungen zu einem Gerichtsverfahren, zu einzelnen Verfahrensschritten und zu der dort thematisierten Verfolgungssituation zu äußern. Darüber hinaus besteht an den vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalten auch ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, weil sowohl das Verfahren vor dem LG Dresden als auch die ihm zugrunde liegenden Vorgänge der sog. Industriereform rechtlich und zeithistorisch außergewöhnlich sind und die Gesellschaft im demokratischen Rechtsstaat bewegen. Auch die Befriedigung eines legitimen Informationsbedürfnisses steht unter dem Schutz des Grundgesetzes (Art. 5 Abs. 1 a.E. GG). Wenn die Kammer die Presseerklärung zum Anlaß nimmt, einen bereits anberaumten Erörterungstermin wieder aufzuheben und dem Antragsteller damit einen Rechtsnachteil zuzufügen, dann greift sie mit solchen Maßnahmen in verfassungswidriger Weise in die Meinungsfreiheit des Antragstellers ein. Auch deshalb ist das Vorgehen der Kammer rechtsstaatlich untragbar.
Wegen dieses Verfahrens ist die Bundesrepublik Deutschland auch vom EGMR mit Urteil vom 9. Juni 2016 – 44164/14 wegen Verletzung der Garantie der öffentlichen Gerichtsverhandlung (Art. 6 Abs. 1 EMRK) verurteilt worden.