LG Berlin, Beschluß vom 9. Oktober 2017 – 152 Js 139/17 Reha

Die Rechtsvorgänger der Antragsteller waren Gesellschafter einer Berliner Personengesellschaft. 1948 beschloß eine Kommission der Deutschen Treuhandverwaltung des sequestrierten und beschlagnahmten Vermögens im sowjetischen Besatzungssektor der Stadt Berlin (DTV) vorzuschlagen, diese wegen mehrerer, in der KRD Nr. 38 beschriebenen Verbrechen schuldig zu sprechen und – auch dies unter Berufung auf die KRD Nr. 38 – ihre gesamten Vermögen einzuziehen. Diesem Beschluß war 1947 der Beschluß der für sämtliche Besatzungssektoren von Berlin zuständigen Stadtverordnetenversammlung vorausgegangen, mit dem eine Verordnung über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten beschlossen worden war. Sie sah vor, nach Maßgabe der KRD Nr. 38 schuldig gesprochenen Unternehmern das gesamte Vermögen einzuziehen. In der parlamentarischen Debatte hatten Vertreter von CDU und SPD darauf hingewiesen, die Verordnung diene der Bestrafung von Unternehmer und sie solle sicherstellen, daß den nach Maßgabe der KRD schuldig gesprochenen Unternehmern nicht nur einzelne Vermögensteile, sondern ihr Gesamtvermögen eingezogen werde. Diese Verordnung wurde allerdings nicht von den Vertretern der westlichen Alliierten in der Berliner Kommandantura genehmigt worden und war deshalb nicht in Kraft getreten. Nach der Berlinblockade hat sie aber der für Ostberlin zuständige Magistrat als Gesetz über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten. Außerdem bestätigte er in Ziff. 1 des Beschlusses Nr. 91 die von den Kommissionen der DTV vorgeschlagenen Einziehungsbeschlüsse.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Michael Heinartz,  Richter am LG
Dr. Ines Tari, Richterin am AG
Anke Erdmann, Richterin am LG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Die Rechtsvorgänger der Antragsteller waren Gesellschafter einer Berliner Personengesellschaft. 1948 beschloß eine Kommission der Deutschen Treuhandverwaltung des sequestrierten und beschlagnahmten Vermögens im sowjetischen Besatzungssektor der Stadt Berlin (DTV) vorzuschlagen, diese wegen mehrerer, in der KRD Nr. 38 beschriebenen Verbrechen schuldig zu sprechen und – auch dies unter Berufung auf die KRD Nr. 38 – ihre gesamten Vermögen einzuziehen. Diesem Beschluß war 1947 der Beschluß der für sämtliche Besatzungssektoren von Berlin zuständigen Stadtverordnetenversammlung vorausgegangen, mit dem eine Verordnung über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten beschlossen worden war. Sie sah vor, nach Maßgabe der KRD Nr. 38 schuldig gesprochenen Unternehmern das gesamte Vermögen einzuziehen. In der parlamentarischen Debatte hatten Vertreter von CDU und SPD darauf hingewiesen, die Verordnung diene der Bestrafung von Unternehmer und sie solle sicherstellen, daß den nach Maßgabe der KRD schuldig gesprochenen Unternehmern nicht nur einzelne Vermögensteile, sondern ihr Gesamtvermögen eingezogen werde. Diese Verordnung wurde allerdings nicht von den Vertretern der westlichen Alliierten in der Berliner Kommandantura genehmigt worden und war deshalb nicht in Kraft getreten. Nach der Berlinblockade hat sie aber der für Ostberlin zuständige Magistrat als Gesetz über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten. Außerdem bestätigte er in Ziff. 1 des Beschlusses Nr. 91 die von den Kommissionen der DTV vorgeschlagenen Einziehungsbeschlüsse.

Die darauf bezogenen strafrechtlichen Rehabilitierungsanträge hat die Rehabilitierungskammer des LG Berlin als unbegründet zurückgewiesen. Den zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen sei kein strafrechtlicher Charakter i.S.v. § 1 Abs. 1 und 5 StrRehaG zugekommen. Die Entscheidungsvorschläge der DTV hätten keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfaltet. Die Vorschläge seien auch nicht durch den Magistrat bestätigt und damit wirksam geworden. Vielmehr sei die Einziehung des Vermögens unmittelbar durch das Gesetz über die Einziehung von Vermögenswerten von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten erfolgt. Zudem hätte der Beschluß des Magistrats zur Durchführung des Einziehungsgesetzes reines Verwaltungsrecht dargestellt.

Außerdem gehe die Kammer mit der Rechtsprechung des KG weiterhin davon aus, daß Rechtsgrundlage für die in Rede stehenden Maßnahmen das Gesetz über die Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten gewesen sei, das nicht der Ahndung von mißbilligtem Verhalten gedient habe, und daß es sich bei der anschließenden Einziehung nach Listen um Maßnahmen von Verwaltungsbehörden gehandelt habe. Dazu zitiert die Kammer eine längere Passage aus dem Beschluß des KG vom 22. Juni 2010 – 2 Ws 191/10 REHA –, in der das KG aber festgestellt hatte, daß die Maßnahmen nicht auf die KRD Nr. 38, sondern auf den SMAD-Befehl Nr. 124 gestützt gewesen war.

Selbst wenn das Einziehungsgesetz zur unabdingbaren Voraussetzung eine Qualifizierung als Kriegsverbrecher oder Naziaktivist i.S.d. KRD Nr. 38 gehabt habe, besage dies nicht, daß die gegen diesen Personenkreis verhängten Maßnahmen spezifisch strafrechtlicher Natur waren. Schon die KRD Nr. 38 habe sich in weiten Teilen von strafrechtlichen Inhalten entfernt. Sie habe auch der Vernichtung des Nationalsozialismus und des Militarismus sowie der Kontrolle und Überwachung möglicherweise gefährlicher Deutscher gedient hätten. Dementsprechend habe die KRD Nr. 38 nicht nur solche Personen benannt, denen ein konkretes Verbrechen vorzuwerfen war, sondern auch Personen, die sich in nationalsozialistischen Organisationen betätigt, die aus der Zusammenarbeit mit solchen Organisationen erheblichen Nutzen gezogen oder die sich auch nur als offen bekennende Anhänger der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erwiesen hätten. Auch gegenüber diesen Personen sei das Vermögen eingezogen worden. Ziel dieser Maßnahmen sei es gewesen, Vermögenswerte dieser Personen zum Volkseigentum zu ziehen und so zur Vernichtung des Nationalsozialismus beizutragen. Diese Zweckrichtung habe auch der Magistratsbeschluß bestätigt. Dementsprechend seien auf den Listen auch nicht die Namen der Unternehmensinhaber, sondern nur die Firmen der Unternehmer benannt worden. Solche der Entnazifizierung dienende Vermögenseinziehungen seien aber verwaltungsrechtlicher Natur gewesen.

Insofern komme es bei der Beurteilung, ob eine Maßnahme strafrechtlicher Natur i.S.v. § 1 Abs. 1 und 5 StrRehaG gewesen sei, auch nicht auf das damalige Rechtsverständnis, sondern allein darauf an, ob nach bundesdeutschem Rechtsverständnis eine Strafverfolgung vorgelegen habe. Daher sei es auch unerheblich, ob bestimmte Tatbestände der KRD Nr. 38 von der Rechtsprechung des KG als strafrechtlich angesehen worden seien. Ebenso wenig komme es auf das stalinistische Rechtsverständnis an. Dies gelte schon deshalb, weil die Vermögenseinziehungen durch das Einziehungsgesetz angeordnet worden sei. Außerdem habe dieses Gesetz nur Vermögenseinziehungen, nicht aber andere Sanktionen wie Freiheits- und Todesstrafen vorgesehen. Unerheblich sei auch das Verständnis von Abgeordneten der Berliner Stadtverordnetenversammlung gewesen, weil die von ihnen beschlossene Verordnung zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten von den westlichen Alliierten nicht genehmigt worden sei. Zudem habe sich der Abgeordnete Bach (SPD) nur vage zum Strafcharakter der KRD Nr. 38 geäußert.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Der Beschluß prüft die zur Rehabilitierung gestellten Unrechtsakte ausnahmslos auf einer unzutreffenden Grundlage und gewährt schon wegen des grundlegend unrichtigen Prüfungsprogamms keinen gerichtlichen Rechtsschutz.

Es ist zwar richtig, daß eine strafrechtliche Rehabilitierung nach § 1 Abs. 1 und 5 StrRehaG den Strafcharakter der zu rehabilitierenden Maßnahmen voraussetzt. Diesen prüft die Kammer jedoch explizit nach bundesdeutschem Rechtsverständnis. Nach ständiger Rechtsprechung der strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte ist der Strafcharakter dagegen nach Recht und Rechtspraxis der DDR und nicht nach bundesdeutschem Verständnis zu bestimmen. Dies ist auch zwingend erforderlich, weil die strafrechtliche Rehabilitierung der Aufarbeitung von in SBZ und DDR begangenem Unrecht dient und es nicht als solches bei Rehabilitierungsentscheidung Berücksichtigung findet, wenn der Prüfung ein in SBZ und DDR irrelevantes, rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtetes, bundesdeutsches Rechtsverständnis zugrunde gelegt wird. Mit einer solchen Prüfung wird den SED-Machthabern rechtsstaatliches Handeln unterstellt, das Recht und Rechtspraxis in SBZ und DDR aber nicht entsprach. Speziell bei Maßnahmen der politischen Verfolgung, die nach dem in SBZ und DDR geltenden Rechtsverständnis Strafcharakter aufwiesen, waren materielle rechtsstaatliche Strafrechtsgarantien sowie strafprozessuale Grundsätze weitgehend außer Kraft gesetzt. Das gilt in besonderer Weise für die im vorliegenden Fall praktizierten Repressionsmaßnahmen, die selbst elementarste rechtsstaatliche Verfahrensgarantien systematisch mißachtet haben und deshalb reine Willkürakte darstellten. Wird den verübten Repressionsmaßnahmen aber der Strafcharakter abgesprochen, weil sie rechtsstaatlichen Strafverfahren nicht entsprachen, wird die gesetzlich angeordnete Rehabilitierung mit dem geschehenen Unrecht, das der Grund für die Rehabilitierung sein sollte, ausgehebelt.

Da es sich bei dem in SBZ und DDR praktizierten Recht um fremdes Recht handelt, das dem bundesdeutschen Richter grundsätzlich nicht bekannt ist, sind in entsprechender Anwendung von § 293 ZPO für die Prüfung des Rechtscharakters der zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen die Tatsachen zu ermitteln, die in Berlin seinerzeit Recht und Rechtspraxis der Verfolgung der Betroffenen ausgemacht haben (vgl. etwa: BGHSt 35, 216, 223; NJW 1994, 3364, 3366). Dies hat im Freibeweisverfahren zu erfolgen. Eine solche Ermittlung hat die Kammer des LG Berlin vollständig unterlassen und hat statt dessen eine reine Rechtsprüfung vorgenommen, für die sie sogar ein bundesdeutsches Rechtsverständnis zugrunde gelegt hat. Damit aber wird das seinerzeit tatsächlich praktizierte Unrecht vollständig ausgeblendet. Deshalb verstößt der Beschluß gegen die verfassungsrechtliche Garantie des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip.

Nach der seinerzeit in Ostberlin geltenden Rechtswirklichkeit waren strafrechtliche Enteignungsvorschläge der Kommissionen der DTV zwar noch nicht endgültig, wurden aber mit einem wie auch immer gearteten Bestätigungsakt wirksam. Diese gesetzlich nicht geregelte Rechtspraxis war von den in der UdSSR verübten Repressionsmaßnahmen der sog. stalinistischen Säuberungen übernommen worden, bei denen vom NKWD eingesetzte Dwoikas insbesondere auf der Grundlage des Art. 58 des Strafgesetzbuchs der RSFSR Strafvorschläge unterbreiteten, die in einem „Album“ zusammengefaßt und dann „im Paket“ von einem Bestätigungsorgan regelmäßig ohne weitere Prüfung etwa durch eine Unterschrift bestätigt wurden.

Der zur Rehabilitierung gestellte strafrechtliche Enteignungsvorschlag der DTV enthielt individuelle, auf einzelne Tatbestände der KRD Nr. 38 gestützte Schuldvorwürfe und stützte sich wegen der Rechtsfolge der vollständigen Vermögenseinziehung auf Sanktionsnormen der KRD Nr. 38, die die Vermögenseinziehung vorsahen, sowie auf einen Hinweis auf die von der Berliner Stadtverordnetenversammlung beschlossene, aber nicht in Kraft getretene Verordnung über die Einziehung von Vermögenswerte der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten. Damit hat die Kommission der DTV die Betroffenen individuell wegen ihnen zur Last gelegter, in der KRD Nr. 38 umschriebener Handlungen schuldig gesprochen. Sie hat deshalb die Sanktion der vollständigen Vermögenseinziehung verhängt. Schon weil die KRD Nr. 38 ausdrücklich bestimmte, sie diene (auch) der Strafverfolgung, steht auch der mit diesen Maßnahmen verfolgte Strafzweck außer Frage. Dieser Vorschlag führte dazu, daß auch das Unternehmen der Betroffenen auf die Berliner Liste 1 gesetzt wurde, die mit Ziff. 1 Magistratsbeschluß Nr. 91 vom 8. Februar 1949 bestätigt wurde. Damit ist der spezifische Strafcharakter der Maßnahme belegt. Dieses Ergebnis wird durch die Begründungsversuche der Kammer, die ausnahmslos der damaligen Rechtspraxis widersprechen oder sonst mit ihr nicht übereinstimmen, nicht entkräftet.

Die KRD Nr. 38 nennt in Abschnitt I, 1.als weitere Zwecke neben der „Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten, Militaristen und Industriellen“ auch die „endgültige Vernichtung des Nationalsozialismus und des Militarismus“ sowie „die Internierung von Deutschen, welche, ohne bestimmter Verbrechen schuldig zu sein, als für die Ziele der Alliierten gefährlich zu betrachten sind“. Die beiden zuletzt genannten Zwecke betreffen aber den für die Rehabilitierung allein maßgeblichen strafrechtlichen Enteignungsvorschlag der DTV nicht. Der Zweck der Vernichtung des Nationalsozialismus bezieht sich ausschließlich auf Maßnahmen der „Gefangensetzung oder Tätigkeitsbeschränkung“, nicht aber auf solche Vermögenseinziehung. Der Enteignungsvorschlag betrifft auch nicht die Internierung der Betroffenen, zumal sie die Kommission der DTV auch wegen vermeintlicher Verstöße gegen von der KRD Nr. 38 mißbilligten Handlungen schuldig gesprochen hat.

Soweit die Kammer des LG Berlin daher den Strafzweck der Maßnahmen unter Hinweis auf die weiteren Zweckrichtungen der KRD Nr. 38 in Zweifel zieht, steht dies in offenem Widerspruch zu den gesetzlichen Zweckangaben der KRD Nr. 38, die für auf Schuldsprüche gestützte Vermögenseinziehungen allein den Zweck der Bestrafung angibt. Im übrigen sind – entgegen der nicht begründeten Behauptung der Kammer – auch die Organisationsstraftatbestände der KRD Nr. 38 als Strafvorschriften angewandt worden. Allein im Rahmen der Waldheimer Prozesse waren 91 Verurteilungen darauf gestützt. Dem steht auch die Rechtsprechung des KG nicht entgegen. In dem von der Kammer ausführlich zitierten Beschluß vom 22. Juni 2010 – 2 Ws 191/10 REHA – ist das KG vielmehr davon ausgegangen, daß die Vermögenseinziehung nicht auf die KRD Nr. 38, sondern (allein) auf den SMAD-Befehl Nr. 124 gestützt gewesen sei, der aber keine individuellen Schuldtatbestände enthielt. Für auf die KRD Nr. 38 gestützte Verurteilungen hat der Beschluß aber ausdrücklich auf deren Strafcharakter hingewiesen. Insofern steht die Rechtsprechung des KG der Entscheidung des LG Berlin sogar diametral entgegen, weil der Entscheidungsvorschlag der DTV in dem von ihm entschiedenen Fall auf die KRD Nr. 38 gestützt war.

Die Begründung der Kammer, der Enteignungsvorschlag der DTV sei nicht wirksam geworden, steht bereits in offenem Widerspruch zu der Angabe der Kammer, rehabilitierungsfähig seien auch nur faktische Strafmaßnahmen. Mit dem Enteignungsvorschlag sind, unabhängig davon, ob er nach damaligem Rechtsverständnis durch den Magistrat bestätigt und damit wirksam geworden ist, zumindest faktisch Schuldvorwürfe erhoben worden, die damit ebenso wie der Ausspruch der Vermögenseinziehung zumindest als faktische Unrechtsakte zu rehabilitieren sind.

Abgesehen davon hat Ziff. 1 des Magistratsbeschlusses Nr. 91 vom 8. Februar 1949 auch bestimmt, daß die auf der Liste 1 vermerkten Unternehmen zu enteignen seien, während Ziff. 2 des Magistratsbeschlusses Nr. 91 die Rückgabe der auf der Liste 2 aufgeführten Unternehmen anordnete. Damit hat der Magistratsbeschluß die die Aufnahme auf die Listen bedingenden Enteignungsvorschläge bestätigt (Enteignungsanordnung für Liste 1) bzw. ihre Bestätigung abgelehnt (Rückgabeanordnung für Liste 2).

Wenn die Kammer demgegenüber dargelegt hat, die Schuldsprüche der Kommission der DTV seien damit deshalb nicht bestätigt worden, weil auf den Listen nicht die Namen der Betroffenen, sondern ihre Unternehmen aufgeführt worden seien, wird dies der damaligen Rechtspraxis nicht gerecht. Bei den Listen handelte es sich um auf der Grundlage der Enteignungsvorschläge der DTV erfolgte Fortschreibungen der zuvor erstellten Beschlagnahmelisten, die lediglich Unternehmen betrafen. Mit der Aufnahme eines Unternehmens auf eine der beiden Listen wurden daher die Schuldsprüche sämtlicher Unternehmensinhaber entweder bestätigt oder nicht bestätigt. Wenn in wenigen Ausnahmefällen keine Bestätigung oder Ablehnung der Bestätigung für sämtliche Betriebsinhaber erfolgt ist, ist dies jeweils auf den Listen entsprechend vermerkt. Schon damit wird belegt, daß sich die Bestätigungsentscheidungen des Magistrats jeweils auch auf die Schuldsprüche in den Enteignungsvorschlägen bezogen.

Nach der damaligen Rechtspraxis kam es auch auf keinerlei Formalitäten an, wie die Kammer des LG Berlin ohne jede Begründung unterstellt hat. Es war vielmehr ausreichend, daß das Bestätigungsorgan in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben hatte, daß es den ihr vorgelegten Vorschlägen folgte oder nicht. Dies wurde mit den Enteignungs- und den Rückgabeanordnungen des Magistratsbeschlusses hinreichend deutlich.

Auch die Behauptung des LG Berlin, der Magistratsbeschluß Nr. 91 habe schon deshalb keine Wirkung entfalten können, weil die Vermögenswerte unmittelbar durch das Gesetz zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten enteignet worden seien, kann bereits wegen des zeitlichen Ablaufs nicht richtig sein. Der Magistratsbeschluß Nr. 91 datiert vom 8. Februar 1949 und hat die Enteignungsvorschläge damit bestätigt oder nicht bestätigt. Auch das Gesetz zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten wurde zwar ebenfalls am 8. Februar 1949 beschlossen, trat aber erst am 9. Februar 1949 in Kraft.

Als Bestätigung der auf die KRD Nr. 38 gestützten Enteignungsvorschläge der DTV kam dem Magistratsbeschluß auch Strafcharakter zu, weil er die strafrechtlichen Enteignungsvorschläge damit rechtswirksam werden ließ.

Unvertretbar ist schließlich die Rechtsauffassung der Rehabilitierungskammer des LG Berlin, wenn sie die Auffassung vertritt, § 1 Abs. 5 StrRehaG erweitere den Anwendungsbereich des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nur um nicht-gerichtliche Entscheidung im Ermittlungsverfahren. Diese Beschränkung der Erweiterungsklausel ergibt sich schon nicht aus dem Wortlaut der Norm. Danach gilt das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz vielmehr entsprechend „für strafrechtliche Maßnahmen, die keine gerichtlichen Entscheidungen sind.“ Im übrigen erwähnt die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes (BT-Durcks. 12/1608, S. 18) als nichtgerichtliche Strafakte auch Maßnahmen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Die Begründung führt aber nur nicht abschließend aufgeführte Beispiele für von § 1 Abs. 5 StrRehaG erfaßte Strafmaßnahmen an. Dabei wird ausdrücklich sogar auch der Fall der Sicherstellung von Vermögenswerten durch das MfS außerhalb eines geregelten Strafverfahrens genannt. Damit wird ein den Maßnahmen der Kommissionen der DTV, die Vorgängerorgane des MfS waren, praktisch identischer Fall von Strafmaßnahmen genannt, der von § 1 Abs. 5 StrRehaG erfaßt werden soll. Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 StrRehaG und der Gesetzesbegründung ergibt sich im übrigen der mit der Norm verfolgte Zweck, das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz auf sämtliche, durch nichtgerichtliche Staatsorgane verübte Strafmaßnahmen auszudehnen. Für eine Beschränkung auf Strafmaßnahmen in Ermittlungsverfahren gibt es dagegen keine Rechtfertigung. Sie führte vielmehr zu dem sinnwidrigen Ergebnis, daß zumeist weniger einschneidende, vorläufige Strafmaßnahmen in Ermittlungsverfahren rehabilitiert werden könnten, besonders willkürliche, außerhalb eines geregelten Strafverfahrens verübte endgültige und schwerwiegende Strafakte dagegen nicht.

LG Berlin, Urteil vom 28. November 2007 – 23 O 254/06

1905 wurde die Deutsche Nationaltheater AG (im folgenden: DNT AG) von einem berühmten jüdischen Theaterregisseur (im folgenden: MR) gegründet. Akionäre waren neben

MR mehrere seiner Freunde, Kollegen und Förderer, welche Geld zur Gründung und zum Betrieb u.a. des Deutschen Nationaltheaters gespendet und dafür Aktien an der DNT AG erhalten hatten, ohne daß jemals Rechte aus der Aktionärsstellung geltend gemacht worden wären. Anfang 1933 hielt MR über 77 % der Aktien, die übrigen Aktionäre knapp 23 %.

Nach der NS-Machtübernahme bemächtigten sich die NS-Organisationen der Treuhandgesellschaft für wirtschaftliche Unternehmen und Beteiligungen der Deutschen Arbeitsfront (im folgenden: TWU) und der Deutschen Bank der Arbeit AG (im folgenden: BdDA) zu rund 99 % der Aktien. Nach dem Vortrag des klagenden Bundes sind die Aktien der TWU nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 126 in Volkseigentum überführt worden, diejenigen der BdDA auf der Grundlage der Berliner Konzernverordnung. Der beklagte Liquidator der DNT AG bestreitet diese Konfiszierungen.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Sabine Linz, Vorsitzende Richterin am LG
Burkhard Niebisch, Richter am LG
Stefan Bebensee, Richter am LG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

1905 wurde die Deutsche Nationaltheater AG (im folgenden: DNT AG) von einem berühmten jüdischen Theaterregisseur (im folgenden: MR) gegründet. Akionäre waren neben

MR mehrere seiner Freunde, Kollegen und Förderer, welche Geld zur Gründung und zum Betrieb u.a. des Deutschen Nationaltheaters gespendet und dafür Aktien an der DNT AG erhalten hatten, ohne daß jemals Rechte aus der Aktionärsstellung geltend gemacht worden wären. Anfang 1933 hielt MR über 77 % der Aktien, die übrigen Aktionäre knapp 23 %.

Nach der NS-Machtübernahme bemächtigten sich die NS-Organisationen der Treuhandgesellschaft für wirtschaftliche Unternehmen und Beteiligungen der Deutschen Arbeitsfront (im folgenden: TWU) und der Deutschen Bank der Arbeit AG (im folgenden: BdDA) zu rund 99 % der Aktien. Nach dem Vortrag des klagenden Bundes sind die Aktien der TWU nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 126 in Volkseigentum überführt worden, diejenigen der BdDA auf der Grundlage der Berliner Konzernverordnung. Der beklagte Liquidator der DNT AG bestreitet diese Konfiszierungen.

Nachdem rund 77 % der Aktien bestandskräftig an die Rechtsnachfolger des MR zurückübertragen worden waren und das Vermögen der DNT AG liquidiert worden war, beanspruchte der Bund von dem Liquidator der DNT AG die Auskehrung von knapp 23 % des Liquidationsüberschusses.

Das LG Berlin hat der Klage stattgegeben. Dabei folgt es ohne Beweisaufnahme dem Vortrag des Bundes und nimmt an, daß die Aktien – wie vom Bund behauptet – konfisziert und in Volkseigentum überführt worden seien. Mit dem Wirksamwerden des Einigungsvertrages seien die Aktien nach Art 22 I 1 EVertr als ehemals volkseigenes Finanzvermögen in die Treuhandverwaltung des Bundes übergegangen. Da der Bund den Anspruch nur als Treuhänder verfolge, werde dieser auch nicht rechtsmißbräuchlich, also unter Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Die Entscheidung ist – jedenfalls mit dieser Begründung – gleich aus zwei Gründen unvertretbar:

  1. Ob die vom Bund behaupteten Konfiskationen stattgefunden haben, beurteilt sich nicht nach bundesdeutschem Recht, sondern nach sowjetischem Besatzungsrecht bzw nach dem 1949 in Ostberlin geltendem Recht. Inhalt dieses Rechts und seine Umsetzung in der Rechtspraxis sind damit Rechtstatsachen, über welche der bundesdeutsche Richter nach § 293 ZPO, insbesondere wenn die vom Kläger vorgetragenen Rechtstatsachen substantiiert bestritten werden, die vom Richter durch eine Beweisaufnahme zu ermitteln waren. Das LG Berlin hat eine solche Amtsermittlung vollständig unterlassen. Schon deshalb ist die Entscheidung so nicht vertretbar.
  2. Wäre die DNT AG nicht durch das NS-Regime verfolgungsbedingt geschädigt worden, hätte den Rechtsnachfolgern des MR ohne weiteres der gesamte Liquidationserlös zugestanden, weil die 1933 berechtigten Aktionäre keine Auskehrung des Liquidationserlöses verlangt haben und nach der Satzung der DNT AG i.L. der den nicht anmeldenden Aktionären zustehende Liquidationserlös denjenigen Aktionären zuwachsen sollte, welche ihre Aktionärsstellung zum Zweck der Geltendmachung des Anspruchs auf Erlösauskehr nachgewiesen haben.

Damit macht der Bund den Liquidationsüberschuß aufgrund einer Rechtsposition geltend, die ausschließlich auf den verfolgungsbedingten Schädigungen durch die nationalsozialistischen und die kommunistischen Machthaber beruht. Obgleich in der Rechtsprechung des BGH und im juristischen Schrifttum anerkannt ist, daß ein Gläubiger an der Durchsetzung einer auf einem verfolgungsbedingten Erwerb gestützten Forderung wegen Rechtsmißbrauchs und damit wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, meint das LG Berlin, darauf könne sich der beklagte Liquidator der DNT AG i.L. nicht berufen, weil der klagende Bund den Liquidationsüberschuß nur als Treuhänder für die eigentlich berechtigten Aktionäre geltend mache.

Es ist zwar richtig, daß mit dem Wirksamwerden des Einigungsvertrages nach Art. 22 Abs. 1 Satz 1 EVertr zunächst lediglich eine Treuhandverwaltung des Bundes begründet wurde. Der Bundesgesetzgeber hat aber nachträglich die Ausschlußfristen des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG eingefügt, mit deren Ablauf ein vermögensrechtlicher Anspruch eines NS-Geschädigten auch mit materieller Wirkung untergeht. Da die übrigen Aktionäre der DNT AG innerhalb der Ausschlußfristen des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG keine vermögensrechtlichen Ansprüche geltend gemacht haben, verfolgt der Bund seit dem Fristablauf den Anspruch auf Erlösauskehr ausschließlich noch zugunsten seines Fiskalvermögens. Diesem Begehren steht die Rechtsmißbräuchlichkeit auf die Stirn geschrieben, weil sie sich zum Nachteil von Rechtsnachfolgern des NS-verfolgten MR ausschließlich auf dessen nicht legitimierte, verfolgungsbedingte Schädigungen stützen können. Dies verkennt das LG Berlin.