LG Dresden, Beschluß vom 18. Juni 2019 –BSRH 13/17

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag der sächsischen Präsidialkommission, mit dem den Inhabern eines Unternehmens zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Diesen Vorschlag hatte das sächsische Gesamtministerium im Umlaufverfahren bestätigt.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Dertinger, Richter am LG
Alexander Dost, Richter
Sandra David, Richterin am LG 

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag der sächsischen Präsidialkommission, mit dem den Inhabern eines Unternehmens zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Diesen Vorschlag hatte das sächsische Gesamtministerium im Umlaufverfahren bestätigt.

Das LG Dresden hat die darauf gerichteten Rehabilitierungsanträge abgewiesen, weil es die Behauptung aufgestellt hat, die zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen seien nicht strafrechtlicher Natur gewesen. Dies stützt die Kammer zunächst auf die weitere Behauptung, der Betroffene sei von der Präsidialkommission lediglich den Kategorien der Naziverbrecher, der aktivistischen Nazis und der Kriegsinteressenten zugeordnet worden. Außerdem habe es keine Einigung im Block der antifaschistischen Parteien über den Strafzweck der Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes gegeben. Letztere Behauptung hat die Kammer auf den Umstand gestützt, daß die Kommissionen Enteignungsvorschläge infolge der Größe der betroffenen Betriebe gefaßt hätten.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Die sächsischen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern enthalten insgesamt 15 individuelle Schuldtatbestände. Sie sind in drei Tatbestandsgruppen – 1. Naziverbrecher, 2. aktivistische Nazis, 3. Kriegsinteressenten – unterteilt, die jeweils mehrere, mit kleinen Buchstaben gekennzeichnete, individuelle Schuldtatbestände umfassen. Weil die Kommission den Enteignungsvorschlag mit den Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der Richtlinien begründet hat, hat sie jeweils auf die mit diesen Buchstaben bezeichneten individuellen Schuldtatbestände und nicht auf bloße Kategorien ohne individuellen Schuldtatbestände verwiesen. Damit ist die Behauptung der Kammer, der Betroffene sei lediglich einer (unspezifischen) Kategorie zugeordnet worden, offenkundig unzutreffend.

Unrichtig ist auch die weitere Behauptung des Gerichts, es habe keine Vereinbarung über den Strafzweck der Verfolgung gegeben. Es ist zwar zutreffend, daß die Kommissionen oftmals keinen Beweis für die den Betroffenen zur Last gelegten Taten erbringen konnten und dennoch Schuldvorwürfe nach Maßgabe der Richtlinien nur deshalb erhoben haben, weil sie Inhaber eines größeren Unternehmens waren. Selbst in diesen Fällen aber haben sie den Betroffenen konkrete, individuelle Schuldvorwürfe auf der Grundlage der Richtlinien zur Last gelegt. Sie haben damit die in den Richtlinien enthaltenen Schuldtatbestände aus politischen Gründen schwerwiegend mißbraucht.

Daraus zu schließen, es habe keine Einigung über den mit den Schuldtatbeständen der Richtlinien verbundenen Strafzweck gegeben, ist aber schon deshalb unvertretbar, weil die Kommissionen auch ohne Schuldnachweis individuelle Schuldvorwürfe nach Maßgabe der Richtlinien erhoben haben. Damit belegt bereits die Entscheidungspraxis der Kommissionen, daß es eine Einigung zwischen der Landesverwaltung Sachsen, den antifaschistischen Parteien und dem FDGB gab, die Unternehmer schuldig zu sprechen und damit zu bestrafen, selbst wenn diese Bestrafungsmaßnahmen kraß willkürlich vorgenommen wurden.

Unabhängig davon waren die Kommissionen aber nicht am Abstimmungsprozeß über die Richtlinien beteiligt. Vielmehr sind sie u.a. vom Präsidenten und Vizepräsidenten der Landesverwaltung Sachsen sowie den sächsischen Vorsitzenden der im Block vertretenen antifaschistischen Parteien verabschiedet und unterzeichnet worden. Damit wird auch die Aussage der Rehabilitierungskammer des LG Dresden widerlegt, es sei möglich, daß Teile der Parteien für die Verabschiedung der Richtlinien gewesen seien, es aber keine Vereinbarung mit sämtlichen Parteien gegeben habe.

Den spezifischen Strafzweck, dem die Richtlinien gedient haben, haben sie bereits selbst ausdrücklich festgelegt. Dazu heißt es dort wörtlich: „Der Volksentscheid richtet sich also ausschließlich gegen Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten. Das sind diejenigen, die das deutsche Volk ins Unglück gestürzt haben. ….. Der beabsichtigte Volksentscheid ist also keine wirtschaftliche Maßnahme …….“ Damit haben die Richtlinien die Forderungen der bürgerlichen Parteien CDU und LPD im Block festgeschrieben, die sich an der Aktion des Volksentscheids nur beteiligen wollten, wenn damit keine allgemeine Sozialisierungsaktion verbunden sei, sondern wenn sie auf die Bestrafung von Unternehmern beschränkt bleibe, die sich aufgrund individueller, in den Richtlinien festgeschriebenen Tatbeständen als Naziverbrecher, aktivistische Nazis oder Kriegsinteressenten schuldig gemacht hätten.

Der auf die individuellen Schuldtatbestände der Richtlinien bezogene spezifische Strafzweck ist darüber hinaus in mehreren amtlichen Dokumenten der Landesverwaltung Sachsen bestätigt worden, nämlich durch eine Deklaration und ein dazu verfaßtes Rundschreiben, in dem wegen der notwendigen Prüfung ausdrücklich auf die Richtlinien der Blockparteien und des FDGB verwiesen wurde, und durch ein weiteres Kommuniqué. Der Strafzweck wird außerdem im Aufruf der Blockparteien zum Volksentscheid explizit genannt.

Der Beschluß des LG Dresden stützt den fehlenden Strafcharakter daher ausschließlich auf in offenem Widerspruch zu den dokumentierten Tatsachen des Verfolgungsgeschehens stehen, weil er einerseits tatsächlich erhobene individuelle Schuldvorwürfe bestreitet und durch die Behauptung einer bloßen Zuordnung zu einer Kategorie ersetzt, sowie andererseits den dokumentierten Erlaß der Richtlinien und den damit ausdrücklich verbundenen Strafzweck abstreitet, ohne sich mit den maßgeblichen Beweisstücken dazu auseinanderzusetzen. Damit verharmlost die Rehabilitierungskammer gezielt die seinerzeit in besonders willkürlicher Weise praktizierte Repression durch die sächsische Präsidialkommission und das sächsische Gesamtministerium, um keine Strafverfolgung annehmen und das verübte Verfolgungsunrecht nicht strafrechtlich zu rehabilitieren.

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