Verantwortliche Richter:
Karin Schröder, Vorsitzende Richterin am OLG
Peter Frey, Richter am OLG
Beate Horlacher, Richterin am OLG
Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung:
Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag der sächsischen Präsidialkommission, mit dem dem verfolgten Unternehmen zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Dieser Vorschlag ist durch einen im Umlaufverfahren von den Mitgliedern des sächsischen Gesamtministeriums (Regierungskabinett) gefaßten Beschluß bestätigt worden.
Die strafrechtliche Rehabilitierung des Betroffenen hat das LG Dresden mit Beschluß vom 24. August 2009 abgelehnt und hat die im wesentlichen damit begründet, die Maßnahmen seien auf den SMAD-Befehl Nr. 124 gestützt gewesen, der nicht strafrechtlicher Natur i.S.v. § 1 Abs. 5 StrRehaG gewesen sei. Außerdem sei eine strafrechtliche Rehabilitierung von Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage aufgrund der Vereinbarungen in Ziff. 1 der Gemeinsamen Erklärung und nach § 1 Abs. 8 lit. a VermG ausgeschlossen.
In seinem die Beschwerde zurückweisenden Beschluß vom 26. November 2010 hat es der Rehabilitierungssenat des OLG Dresden offengelassen, ob Rechtsgrundlage der Maßnahmen der SMAD-Befehl Nr. 124 oder die Richtlinien zum Volksentscheid (gemeint sind die Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes gewesen sei. Jedenfalls seien auch die Richtlinien kein Strafgesetz gewesen. Sie hätten keinem Strafzweck, sondern der Friedenssicherung gedient. Auch soweit das Kommuniqué der Landesverwaltung Sachsen die Bestrafung der sächsischen Unternehmer als Zweck angegeben habe, habe es sich dabei lediglich um ein plakative Forderung gehandelt. Allein der Umstand, daß eine Maßnahme an individuelle Schuldvorwürfe anknüpfe, bewirke noch nicht ihren Strafcharakter.
Warum die Entscheidung unvertretbar ist:
Diese Begründung ist insgesamt aktenwidrig. Sie steht also in erkennbarem Widerspruch zu den Tatsachen des damaligen, in den Akten dokumentierten Verfolgungsgeschehens. Die Entscheidung beruht damit auf Willkür.
Soweit der Rehabilitierungssenat des OLG Dresden die Annahme, die Maßnahmen seien auf den SMAD-Befehl Nr. 124 gestützt gewesen, mit Angaben im Untersuchungsbericht zu rechtfertigen sucht, dieser habe darauf Bezug genommen, ist diese Feststellung schon deshalb aktenwidrig, weil sich die Bezugnahme auf das Sequestrationsverfahren bezogen haben, das dem Verfahren vor der Präsidialkommission vorausgegangen ist. Die Präsidialkommission aber hat dem Betroffenen die Vorwürfe gemacht, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der Richtlinien schuldig gemacht zu haben. Sie hat sich damit ausschließlich auf die Richtlinien und nicht auf den SMAD-Befehl Nr. 124 bezogen. Daher können Rechtsgrundlage der Maßnahmen nur die Richtlinien und nicht der SMAD-Befehl Nr. 124 gewesen sein.
Im Gegensatz zu anderen sächsischen Rehabilitierungsgerichten hat der Rehabilitierungssenat des OLG Dresden in seinem Beschluß vom 26. November 2010 zwar nicht in Frage gestellt, daß dem Betroffenen individuelle Schuldvorwürfe nach Maßgabe derRichtlinien zur Last gelegt worden sind. Er bestreitet aktenwidrig aber den Strafcharakter der Maßnahmen. Dabei ist es zwar richtig, daß die Richtlinien als Zweck der Maßnahmen auch die Friedenssicherung angegeben haben. Dies aber steht dem Strafcharakter der Aktion erkennbar nicht entgegen, zumal die Friedenssicherung den Zweck der Generalprävention beschreibt, die der Gesetzgeber mit Strafmaßnahmen in aller Regel ebenfalls verfolgt.
Der spezifische Strafzweck der Richtlinien ergibt sich aber zwingend aus diversen amtlichen Dokumenten u.a. der sächsischen Landesverwaltung. Davon erwähnt der Rehabilitierungssenat des OLG Dresden zwar das Kommuniqué der Landesverwaltung. Zu dem dort angegebenen Strafzweck stellt der Senat aber ohne jede Begründung die Behauptung auf, es habe sich dabei nur um eine plakative Forderung gehandelt. Diese Behauptung ist schon deshalb aktenwidrig, weil sie sich auf die zuvor erlassenen individuellen Schuldtatbestände der Richtlinien bezieht, die gerade keine nur plakativen, pauschalen Schuldvorwürfe (etwa Naziverbrecher, Naziaktivist oder Kriegstreiber) enthielten, sondern individuelle, als sozial-ethisch verwerflich eingestufte Handlungen beschrieben haben. Dazu steht die Behauptung des Gerichts, es habe sich lediglich um Forderungen nach einer plakativen Bestrafung gehandelt, in diametralem Widerspruch. Außerdem läßt der Rehabilitierungssenat die Zweckbestimmung in den Richtlinien unerwähnt, wonach sie sich ausschließlich gegen zuvor durch individuelle Handlungen bestimmte Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten richteten. Auch damit wurde der individuelle Strafzweck der Vergeltung für das in den Richtlinien beschriebene rechtswidrige Handeln festgeschrieben. Auch deshalb ist die Behauptung des Rehabilitierungssenats aktenwidrig.