BGH, Urteil vom 16. März 2012 – V ZR 279/10

Das Urteil betrifft zwei Exponate der 4259 Plakate umfassenden Sammlung, die dem jüdischen Zahnarzt Dr. Hans Sachs 1938 von Mitarbeitern der Gestapo im Auftrag des Reichspropagandaministeriums unter Drohungen in Berlin-Schöneberg, das später zu Westberlin gehörte, entzogen wurden. Dr. Sachs verließ 1938 das Deutsche Reich. Die Sammlung geriet aufgrund der Kriegswirren in den Machtbereich der DDR, was er erst nach Ablauf der rückerstattungsrechtlichen Fristen erfuhr. Rückerstattungsansprüche machte er nicht geltend. Ein Verfahren nach dem Bundesrückerstattungsgesetz endete 1961 mit einem Vergleich, aufgrund dessen er einen Schadensersatz von 225.000.- DM erhielt. 1974 wurde er von seiner Ehefrau beerbt, die 1974 ihrerseits von ihrem Sohn beerbt wurde. Dieser machte für die beiden Plakate „Dogge“ und „Die blonde Venus“ zivilrechtliche Herausgabeansprüche gegen das Deutsche Historische Museum in Berlin geltend.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter:  

Prof. Dr. Wolfgang Krüger, Vorsitzender Richter am BGH
Dietlind Weinland, Richterin am BGH
Dr. Bettina Brückner, Richterin am BGH
Dr. Christina Stresemann, Richterin am BGH
Dr. Hans-Joachim Czub, Richter am BGH

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Das Urteil betrifft zwei Exponate der 4259 Plakate umfassenden Sammlung, die dem jüdischen Zahnarzt Dr. Hans Sachs 1938 von Mitarbeitern der Gestapo im Auftrag des Reichspropagandaministeriums unter Drohungen in Berlin-Schöneberg, das später zu Westberlin gehörte, entzogen wurden. Dr. Sachs verließ 1938 das Deutsche Reich. Die Sammlung geriet aufgrund der Kriegswirren in den Machtbereich der DDR, was er erst nach Ablauf der rückerstattungsrechtlichen Fristen erfuhr. Rückerstattungsansprüche machte er nicht geltend. Ein Verfahren nach dem Bundesrückerstattungsgesetz endete 1961 mit einem Vergleich, aufgrund dessen er einen Schadensersatz von 225.000.- DM erhielt. 1974 wurde er von seiner Ehefrau beerbt, die 1974 ihrerseits von ihrem Sohn beerbt wurde. Dieser machte für die beiden Plakate „Dogge“ und „Die blonde Venus“ zivilrechtliche Herausgabeansprüche gegen das Deutsche Historische Museum in Berlin geltend.

Der BGH hat diese Ansprüche bejaht. Er hat zwar erkannt, daß von der Berliner Rückerstattungsanordnung (REAO) erfaßten Vermögensgegenstände nur nach Maßgabe der Bestimmungen der REAO geltend gemacht werden konnten und zwar auch nur innerhalb der dort vorgesehenen Ausschlußfristen. Dies könne jedoch nicht gelten, wenn der Vermögensgegenstand im Zeitpunkt des Ablaufs der rückerstattungsrechtlichen Ausschlußfristen verschollen gewesen sei. Dann werde die Ausschlußwirkung der REAO durch den sie beherrschenden Grundsatz der Naturalrestitution begrenzt. Dies gelte auch trotz des Umstandes, daß Art. 26 Abs. 3 und Art. 27 Abs. 2 REAO auch Ansprüche auf Schadensersatz vorgesehen hätten. Daß diese selbst dann abschließend sein sollten, wenn der Vermögensgegenstand bei Ablauf der rückerstattungsrechtlichen Ausschlußfristen verschollen gewesen sei, ergebe sich aus der REAO aber nicht. Andernfalls hätten die Rückerstattungsbestimmungen dem Berechtigten jede Möglichkeit genommen, die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands zu verlangen und auf diese Weise das nationalsozialistische Unrecht perpetuiert. Dies aber sei mit Sinn und Zweck dieser Bestimmungen, die Interessen des Geschädigten zu schützen, nicht zu vereinbaren.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Die Entscheidung kommt zu einem moralisch sicherlich nachvollziehbaren Ergebnis, steht aber mit geltendem Recht erkennbar nicht in Einklang.

Daß die Rückerstattungsgesetze für verfolgungsbedingte Vermögensschädigungen unter NS-Herrschaft zivilrechtliche Ansprüche vollständig ausgeschlossen haben, hat den auf der Hand liegenden Grund, daß zivilrechtliche Vorschriften nicht auf die Besonderheiten des NS-Unrechts, sondern lediglich auf Störungen des allgemeinen Privatrechtsverkehrs reagieren. Deshalb ist es reiner Zufall, ob eine NS-Unrechtsmaßnahme auch von zivilrechtlichen Bestimmungen als Makel erfaßt werden, der geeignet wäre, zivilrechtliche Herausgabeansprüche zu begründen. Daher begründete ein Rückgriff auf zivilrechtliche Vorschriften eine willkürliche Rückgabepraxis, die dem unter NS-Herrschaft verübten Unrecht in keiner Weise gerecht wird. Dies belegt, daß die Annahme des BGH, der in der Rückerstattungsanordnung vorgesehene Ausschluß zivilrechtlicher Ansprüche gelte nicht in den Fällen der Verschollenheit im Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlußfristen, nicht zutreffend sein kann. Der Grund für die Nichtanwendung zivilrechtlicher Anspruchstatbestände, eine willkürliche Herausgabepraxis zu verhindern, gilt unabhängig von der Verschollenheit des entzogenen Vermögensgegenstandes.

Vergleichbares gilt auch für die Darlegung des BGH, die Wirkung der Ausschlußfristen gelte bei verschollenen Vermögensgegenständen nicht. Die Ausschlußfristen dienten dazu, mit ihrem Ablauf Rechtssicherheit herzustellen, um den künftigen Rechtsverkehr und den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands nicht zu gefährden. Dieser Zweck bestand unabhängig davon, ob Vermögensgegenstände im Zeitpunkt des Fristablaufs vorhanden oder verschollen waren.

Zudem ist es erkennbar unzutreffend, wenn der BGH darlegt, die Rückerstattungsbestimmungen hätten dann dem Berechtigen dann, wenn ihm keine zivilrechtlichen Herausgabeansprüche zugestanden würden, jede Möglichkeit genommen, einen zunächst verschollenen, später aufgefundenen Vermögensgegenstand zurückzuerhalten. Vielmehr konnten Rückerstattungsansprüche auch dann angemeldet werden, wenn deren Verbleib unbekannt war. Dies belegen bereits die Vorschriften in Art. 26 Abs. 3, Art. 27 Abs. 2 REAO, die bei verschollenen Vermögensgegenständen Schadensersatzansprüche begründeten. Mit dem Auffinden des Vermögensgegenstandes hatten Berechtigte dann die Möglichkeit, das Wiederaufgreifen des rückerstattungsrechtlichen Verfahrens mit dem Ziel zu beantragen, die Rückerstattung des wieder aufgefundenen Vermögensgegenstandes gegen Rückgabe des erhaltenen Schadensersatzes zu erwirken. Wird dem Berechtigte, der rückerstattungsrechtliche Ausschlußfristen versäumt hat, in den Fällen verschollener Vermögensgegenstände ein zivilrechtlicher Herausgabeanspruch zugestanden, so wird er ungerechtfertigt gegenüber solchen Berechtigten bevorzugt, die die Ausschlußfristen bei Vermögensgegenständen versäumt haben, deren Vorhandensein bei Fristablauf bekannt war.

Die Zubilligung zivilrechtlicher Herausgabeansprüche birgt zudem die Gefahr einer doppelten Wiedergutmachung in sich. Hat der Berechtigte, wie auch Dr. Sachs, bereits einen Schadensersatz etwa nach dem Bundesrückerstattungsgesetz erhalten, erhält er mit der Herausgabe des wieder aufgefundenen Vermögensgegenstandes eine doppelte Wiedergutmachung, wird also bessergestellt als er vor der Schädigung stand. Trotzdem hat die Rückerstattungsbehörde keine Möglichkeit, den gezahlten Schadensersatz zurückzufordern, weil dafür die notwendigen gesetzlichen Grundlagen fehlen. Daran hat der Gesetzgeber schon deshalb nicht denken müssen, weil er davon ausgegangen ist, daß zivilrechtliche Herausgabeansprüche von den rückerstattungsrechtlichen Vorschriften vollständig verdrängt werden.

Die Entscheidung des BGH hat außerdem zur Folge gehabt, daß der unzutreffende Eindruck entstanden ist, NS-Verfolgten könnten auch aktuell noch zivilrechtliche Ansprüche durchsetzen. Dies hatte auch den unglücklichen Effekt, daß der Gesetzgeber keine Veranlassung mehr gesehen hat, erneut über die Notwendigkeit, Rückerstattungsansprüche einzuräumen, nachzudenken.

BGH, Urteil vom 4. Mai 2007 – V ZR 162/06

Dem Urteil des BGH liegt ein Flächenerwerb eines Alteigentümers zugrunde, der von der durch die ehemalige Treuhandanstalt zur Privatisierung von ehemals volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen gegründeten BVVG GmbH eine Waldfläche nach Maßgabe von § 3 Abs. 4 und 2 Satz 3 AusglLeistG erworben hatte. In dem Erwerbsvertrag hatte sich der Erwerber verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 4 AusglLeistG, der wiederum u.a. auf § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG verweist, einzuhalten. Andernfalls sollte die BVVG GmbH das Recht haben, vom Erwerbsvertrag zurückzutreten. Nach Abschluß des Erwerbsvertrages stellte die BVVG GmbH fest, daß der Erwerber nicht in der Nähe der erworbenen Waldfläche ortsansässig war, trat vom Vertrag zurück und verlangte die Herausgabe der veräußerten Bodenfläche.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter:  

Prof. Dr. Wolfgang Krüger, Vorsitzender Richter am BGH
Dr. Reiner Lemke, Richter am BGH
Dr. Jürgen Schmidt-Räntsch, Richter am BGH
Dr. Christina Stresemann, Richterin am BGH
Dr. Hans-Joachim Czub, Richter am BGH

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Dem Urteil des BGH liegt ein Flächenerwerb eines Alteigentümers zugrunde, der von der durch die ehemalige Treuhandanstalt zur Privatisierung von ehemals volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen gegründeten BVVG GmbH eine Waldfläche nach Maßgabe von § 3 Abs. 4 und 2 Satz 3 AusglLeistG erworben hatte. In dem Erwerbsvertrag hatte sich der Erwerber verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 4 AusglLeistG, der wiederum u.a. auf § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG verweist, einzuhalten. Andernfalls sollte die BVVG GmbH das Recht haben, vom Erwerbsvertrag zurückzutreten. Nach Abschluß des Erwerbsvertrages stellte die BVVG GmbH fest, daß der Erwerber nicht in der Nähe der erworbenen Waldfläche ortsansässig war, trat vom Vertrag zurück und verlangte die Herausgabe der veräußerten Bodenfläche.

Der BGH ist in seinem Urteil vom 4. Mai 2007 der Rechtsauffassung der BVVG GmbH beigetreten und hat die Rücktrittserklärung für rechtmäßig erklärt. Dazu vertritt er die Meinung, nicht nur für die Erwerbstatbestände des § 3 Abs. 2 Sätze 1, 2 und 4 AusglLeistG, in denen die Verpflichtung zur Ortsansässigkeit ausdrücklich aufgeführt ist, sondern auch der Erwerbstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG setzte die Ortsansässigkeit des Erwerbers voraus. Dies ergebe sich zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut, der aber auch lediglich als Klarstellung gegenüber § 3 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG aufgefaßt werden könne. Auch Sinn und Zweck der Norm seien nicht eindeutig. Im Gegensatz zu § 3 Abs. 2 Sätze 1, 2 und 4 AusglLeistG diene § 3 Abs. 2 Satz 3 AusgLeistG der Wiedergutmachung gegenüber Alteigentümern, die ihre Flächen unrechtmäßig verloren und nun keinen Rückgabeanspruch hätten, was eine Verpflichtung zur Ortsansässigkeit an sich ausschließe. § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG sei aber auch Teil des in § 3 Abs. 2 AusglLeistG geregelten Förderprogramms, das der Schaffung gesunder Eigentumsstrukturen auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern diene. Entscheidend beruft sich das Urteil des BGH freilich auf die die Verpachtung ehemals volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen regelnde Richtlinie der Treuhandanstalt vom 26. Juni 1992. Darin seien als Wiedereinrichter nur Personen erfaßt, „die ortsansässig sind oder im Zusammenhang mit der Wiedereinrichtung ortsansässig werden.“ Da auch § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG voraussetzte, daß der Erwerber zuvor land- und forstwirtschaftliche Flächen gepachtet hat, habe der Gesetzgeber auch bei diesem Erwerbstatbestand auf die Richtlinie der Treuhandanstalt und auf den darin enthaltenen Begriff des Wiedereinrichters Bezug genommen.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Das Urteil des BGH mißachtet elementare Auslegungsgrundsätze und prüft nicht die rechtlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, daß es sich bei den Flächenerwerbsverträgen der BVVG GmbH um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S. von §§ 305ff. BGB handelt.

Bereits die Annahme, bei § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG könne es sich um eine bloße Klarstellungsnorm gegenüber § 3 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG handeln, begegnet erheblichen Bedenken. Für eine solche Klarstellung hätte überhaupt kein Bedarf bestanden, weil sich bereits aus § 3 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG ergibt, daß im Rahmen des Förderprogramms sowohl Alteigentümer als auch Nicht-Alteigentümer dann erwerbsberechtigt sind, wenn sie einen Betrieb auf gepachteten Flächen wiedererrichtet haben und ortsansässig sind. Für eine bloße Klarstellung hätte es daneben des Tatbestandes in § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG nicht bedurft.

Bedeutsamer aber ist der Umstand, daß der BGH es für möglich hält, Sinn und Zweck des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG könne sowohl die Wiedergutmachung für bestehendes Unrecht als auch eine Fördermaßnahme sein, mit der besondere Zwecke der Eigentumsbildung in den neuen Bundesländern verfolgt werden. Eine solche Vermengung von Zwecken des Gesetzes ist vielmehr ausgeschlossen. Dies zeigt die einfache Überlegung, daß es schon im Ansatz keine Wiedergutmachung für geschehenes Unrecht dargestellt wird, wenn geschädigte Alteigentümer i.S. von § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG genauso gestellt werden, wie Personen, die niemals Betroffene von Unrechtsmaßnahmen waren. Von einer Wiedergutmachung läßt sich nur sprechen, wenn Alteigentümer in irgendeiner Weise besser gestellt werden als niemals geschädigte Wiedereinrichter. Im Vergleich zwischen den Regelungen von § 3 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG und § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG ist dies lediglich der Vorzug, daß Alteigentümer nicht auch ortsansässig sein müssen. Nur darin besteht der Wiedergutmachungscharakter, der nicht mehr gegeben wäre, wenn Alteigentümer unterschiedslos auch dem Ortsansässigkeitsprinzip unterworfen wären.

Im übrigen ist auffällig, daß der BGH in seinem Urteil vom 4. Mai 2007 zwar eingehend den Gesetzeszweck der Wiedergutmachung begründet, für die Annahme, § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG bezwecke zugleich eine Fördermaßnahme aber keine Begründung anzugeben weiß. Dazu verweist er lediglich auf einen in einem Eilverfahren ergangenen Beschluß des BVerfG, aus dem sich diese Rechtsmeinung ergeben könnte, verschweigt aber, daß das BVerfG später in einem Hauptsacheverfahren nur noch den Wiedergutmachungscharakter des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG, aber nicht mehr den Förderzweck im Rahmen des Flächenerwerbsprogramms annimmt.

Die für das Ergebnis des BGH entscheidende Richtlinie der Treuhandanstalt vom 26. Juni 1992 ist im übrigen – entgegen der nicht begründeten Behauptung des Senats – ohne Relevanz für die Auslegung des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG. Der BGH schließt auf die Bedeutung der Richtlinie lediglich deshalb, weil § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG allein diejenigen Alteigentümer als Erwerber begünstigt, die bereits zuvor Flächen gepachtet haben. Dies war in der Praxis aufgrund der Richtlinie der Treuhandanstalt zwar nur möglich gegenüber Flächennutzern, welche sich wegen der Verpachtung zur Ortsansässigkeit verpflichtet haben. Daraus läßt sich aber nicht schließen, daß diese Verpflichtung automatisch auch für Erwerber gelten sollte.

Will man annehmen, daß der Gesetzgeber außergesetzliche Regelungen wie die Richtlinie der Treuhandanstalt im Rahmen eines verabschiedeten Gesetzes voraussetzt oder zum Inhalt des Gesetzes zu erheben beabsichtigt, müssen die außergesetzlichen Regelungen ausdrücklich in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt und dem Bundestag, dem Bundesrat und deren Gremien als Entscheidungsgrundlage vorgelegen haben. Davon freilich kann ausweislich der gesamten Gesetzesmaterialien keine Rede sein. Schon deshalb sind er Rückgriff des BGH auf die Treuhandrichtlinie und die darauf gestützten Schlußfolgerungen unvertretbar. Die Richtlinie der Treuhandanstalt hätte bei der Auslegung vielmehr überhaupt nicht herangezogen werden dürfen. Sie ist ausweislich der Gesetzesmaterialien vielmehr eine bloße Praxisregelung der Exekutive, die als solche den Inhalt eines Gesetzes nicht bestimmt hat.

Damit aber nicht genug: Der Senat des BGH zitiert die Richtlinie der Treuhandanstalt in einer wesentlichen Beziehung unrichtig, weil er – sinnentstellend – ein Komma unterschlägt. Insofern führt der BGH wörtlich aus: „Die Richtlinie definiert Wiedereinrichter nämlich als Personen, „die ortsansässig sind oder im Zusammenhang mit der Wiedereinrichtung ortsansässig werden, ihren ursprünglichen landwirtschaftlichen Betrieb wiedereinrichten und selbst bewirtschaften wollen, und zwar auch solche, bei denen die Rückgabe ihres ursprünglichen Betriebes aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist sowie natürliche Personen, denen Vermögenswerte durch Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogen worden sind oder deren Erben, die ihren ehemaligen Betrieb wiedereinrichten und selbst bewirtschaften wollen.“

Tatsächlich lautet aber die vom BGH zitierte Passage der Treuhandrichtlinie: „Wiedereinrichter, das sind Personen, die ortsansässig sind oder im Zusammenhang mit der Wiedereinrichtung ortsansässig werden, ihren ursprünglichen landwirtschaftlichen Betrieb wiedereinrichten und selbst bewirtschaften wollen, und zwar auch solche, bei denen die Rückgabe ihres ursprünglichen Betriebes aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist, sowie natürliche Personen, denen Vermögenswerte durch Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogen worden ist oder deren Erben, die ihren ehemaligen Betrieb wiedereinrichten und selbst bewirtschaften; ….“

Der BGH unterdrückt in seinem Zitat also das Komma zwischen den Worten „ist“ und „sowie“ und will damit suggerieren, daß sich auch der nachfolgende Satzteil „sowie natürliche Personen, denen Vermögenswerte durch Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogen worden ist oder deren Erben, die ihren ehemaligen Betrieb wiedereinrichten und selbst bewirtschaften“ in der Weise auf den ersten Satzteil bezieht, daß die darin aufgestellten Voraussetzungen auch für die nach dem Wort „sowie“ aufgeführte Fallgruppe bezieht. Dieses Verständnis ist aber ausgeschlossen, wenn man das tatsächlich in der Richtlinie enthaltene Komma beachtet.

Das gilt erst recht aufgrund des Umstandes, daß die nach dem Begriff „sowie“ beschriebene Fallgruppe nicht nur dadurch beschrieben wird, daß damit Alteigentümer, die Opfer von besatzungsrechtlichen oder besatzungshoheitlichen Enteignungen geworden sind, in Bezug genommen werden, sondern auch dadurch, daß diese Alteigentümer ihren Betrieb wiedereinrichten und selbst bewirtschaften. Die Wiederholung der Voraussetzungen der Wiedereinrichtung und der Selbstbewirtschaftung für die Fallgruppe der Alteigentümer wäre widersinnig, wenn man mit dem BGH annehmen wollte, auch für diese Fallgruppe sollten die im ersten Satzteil von Ziff. 4.5 lit a der Verpachtungsrichtlinie enthaltenen Voraussetzungen der Wiedereinrichtung, der Selbstbewirtschaftung und der Ortsansässigkeit gelten. Aus dem Umstand, daß die Richtlinie als Wiedereinrichter auch solche Alteigentümer behandeln, die ihren Betrieb wiedereinrichten und selbstbewirtschaften, in deutlichem Gegensatz zur Auffassung des BGH dafür, daß diese Alteigentümer auch für die Verpachtung nicht die Voraussetzung der Ortsansässigkeit erfüllen mußten.

Im Hinblick darauf, daß die BVVG den Rücktritt von den Erwerbsverträgen nur auf Vereinbarungen in diesen Verträgen stützen kann und daß diese Vereinbarungen vielfach verwandt wurden und damit Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen, hätte der BGH auch darauf eingehend müssen, ob die Rücktrittsklauseln auch nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Regeln in §§ 305ff. BGB überhaupt wirksam vereinbart worden sind. Dazu findet sich in dem Urteil kein Wort, obgleich die vom BGH angenommene Vereinbarung einer Ortsansässigkeitsverpflichtung jedenfalls an der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB scheitert.

Die BVVG hat ihr Rücktrittsrecht in den Erwerbsverträgen allein darauf gestützt, daß der Erwerber die Verpflichtungen aus § 3 AusglLeistG erfüllt. In bezug auf die Ortsansässigkeit in den Fällen des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG ist diese Vereinbarung aus mehreren Gründen aber mehrdeutig, so daß Zweifel bei der Auslegung der Rücktrittsklausel zu Lasten der BVVG gehen. Zum einen ist bereits oben dargelegt, daß sich derart relevante Zweifel einer Verpflichtung zur Ortsansässigkeit bereits aus der gesetzlichen, von der Klausel in Bezug genommenen Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG ergeben. Selbst wenn man sich aber darüber hinwegsetzen wollte, ergäbe sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG allenfalls, daß der Erwerber im Zeitpunkt des Erwerbes ortsansässig sein müßte. Aus der bloßen Verweisung auf § 3 AusglLeistG läßt sich für einen Erwerber aber nicht Umständen erkennen, daß er auch noch nach Vertragsschluß ortsansässig sein soll. Eine solche Verpflichtung ist vielmehr allein in § 1 Abs. 2 Satz 2 FlErwV geregelt, auf welche die Rücktrittsklausel gerade nicht verweist. Unabhängig davon ist die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 2 FlErwV nicht von der gesetzlichen Ermächtigung in § 4 Abs. 3 AusglLeistG gedeckt und daher nichtig.

Obgleich das Urteil des BGH vom 4. Mai 2007 prima facie den Eindruck einer ausgewogenen Begründung vermittelt, läßt es tatsächlich die maßgeblichen Entscheidungsgesichtspunkte außer acht. Es unterstützt damit durch eine insgesamt aufgrund mehrerer rechtlicher Fehlleistungen seit langem zu beobachtende Praxis der BVVG, die darauf abzielt, die Verpachtung und die Veräußerung von ehemals volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen einseitig zugunsten der LPG-Nachfolgeunternehmen durchzuführen. Dabei ist längst bekannt, daß die gesetzgeberischen Ziele, die der Gesetzgeber zugunsten dieser Erwerbsanwärter mit dem in § 3 AusglLeistG auch geregelten Förderprogramm der ostdeutschen Land- und Forstwirtschaft verlangt hat, im wesentlichen nicht erreicht werden kann. Dies gilt einerseits deshalb, weil die LPG-Nachfolgeunternehmen in erheblichem Umfang aufgrund von diversen Machenschaften zu Lasten ehemaliger LPG-Mitglieder nicht entsprechend den gesetzlichen Vorschriften umgewandelt wurden, andererseits aber auch aufgrund des Umstandes, daß diese Unternehmen mit einer durchschnittlichen Größe von über 1.000 ha und einer weitgehenden Beschäftigung von Lohnarbeitnehmern nicht in der Lage sind, mit hinreichendem Gewinn zu wirtschaften und seit Jahren nur aufgrund übergebührlicher Subventionen und auf Kosten der Betriebssubstanz überleben.