BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2020 –8 C 6.19

Dem Urteil liegt der Fall einer im Rahmen des sächsischen Volksentscheides erfolgten Schädigung eines 1960 in der BRD verstorbenen Industriellen zugrunde. Er wurde u.a. von einem 1977 ebenfalls in der BRD Verstorbenen beerbt. Weil sein Vermögen überschuldet war, hat u.a. der Kläger die Erbschaft vor dem AG München ausgeschlagen. Dennoch hat er 1990 einen Antrag auf Rückübertragung des 1946 entzogenen Unternehmens gestellt und erhielt daraufhin im Jahr 2000 eine Ausgleichsleistung. Den entsprechenden Bescheid hat die Behörde 2013 wieder aufgehoben, weil ihr die 1977 erfolgte Ausschlagung nicht bekannt gewesen sei. Die dagegen gerichtete Klage war darauf gestützt, zur Bestimmung des Erben und Erbeserben i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG sei nicht auf die tatsächlich eingetretene Erbfolge abzustellen. Vielmehr habe wegen des mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verfolgten Wiedergutmachungszwecks eine hypothetische Prüfung vorgenommen werden müssen, wonach Ausgleichsberechtigter derjenige sei, der Erbe oder Erbeserbe des Geschädigten geworden sei, wenn es keine Schädigung des betreffenden Vermögenswertes gegeben habe. Dann aber habe berücksichtigt werden müssen, daß wegen der in der DDR belegenen Immobilien bei dem 1977 eingetretenen Nachlaßfall des in der BRD Verstorbenen eine Nachlaßspaltung mit der Folge eingetreten wäre, weil nach § 25 Abs. 1 RAG-DDR für deren Beurteilung der erbrechtlichen Folgen das in der DDR maßgebliche Erbrecht anwendbar geworden wäre. Dann habe eine Ausschlagung nach § 403 Abs. 2 S. 1 ZGB-DDR zwingend vor einem Notar der DDR erklärt werden müssen. Die vor dem AG München erklärte Ausschlagung habe sich deshalb nicht auf das in der DDR belegene Immobilienvermögen bezogen.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Dr. Ula Held-Daab, Vorsitzende Richterin am BVerwG
Petra Hoock, Richterin am BVerwG
Dr. Robert Keller,  Richter am BVerwG
Dr. Susanne Rublack, Richterin am BVerwG
Dr. Robert Seegmüller, Richter am BVerwG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Dem Urteil liegt der Fall einer im Rahmen des sächsischen Volksentscheides erfolgten Schädigung eines 1960 in der BRD verstorbenen Industriellen zugrunde. Er wurde u.a. von einem 1977 ebenfalls in der BRD Verstorbenen beerbt. Weil sein Vermögen überschuldet war, hat u.a. der Kläger die Erbschaft vor dem AG München ausgeschlagen. Dennoch hat er 1990 einen Antrag auf Rückübertragung des 1946 entzogenen Unternehmens gestellt und erhielt daraufhin im Jahr 2000 eine Ausgleichsleistung. Den entsprechenden Bescheid hat die Behörde 2013 wieder aufgehoben, weil ihr die 1977 erfolgte Ausschlagung nicht bekannt gewesen sei. Die dagegen gerichtete Klage war darauf gestützt, zur Bestimmung des Erben und Erbeserben i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG sei nicht auf die tatsächlich eingetretene Erbfolge abzustellen. Vielmehr habe wegen des mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verfolgten Wiedergutmachungszwecks eine hypothetische Prüfung vorgenommen werden müssen, wonach Ausgleichsberechtigter derjenige sei, der Erbe oder Erbeserbe des Geschädigten geworden sei, wenn es keine Schädigung des betreffenden Vermögenswertes gegeben habe. Dann aber habe berücksichtigt werden müssen, daß wegen der in der DDR belegenen Immobilien bei dem 1977 eingetretenen Nachlaßfall des in der BRD Verstorbenen eine Nachlaßspaltung mit der Folge eingetreten wäre, weil nach § 25 Abs. 1 RAG-DDR für deren Beurteilung der erbrechtlichen Folgen das in der DDR maßgebliche Erbrecht anwendbar geworden wäre. Dann habe eine Ausschlagung nach § 403 Abs. 2 S. 1 ZGB-DDR zwingend vor einem Notar der DDR erklärt werden müssen. Die vor dem AG München erklärte Ausschlagung habe sich deshalb nicht auf das in der DDR belegene Immobilienvermögen bezogen.

Der 8. Senat des BVerwG hat dagegen die Auffassung vertreten, Erbe und Erbeserbe des Geschädigten i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG sei der tatsächliche Erbe des Geschädigten. Er hat dies damit begründet, daß mit dem Tod des Erblassers nach § 1922 Abs. 1 BGB sein Gesamtvermögen auf den Erben übergehe. Er hat außerdem angenommen, daß es bei Berücksichtigung des hypothetischen Erben zu einer vom Gesetz nicht gewollten Anspruchskonkurrenz komme. Schließlich habe der 7. Senat des BVerwG zwar auf eine hypothetische Betrachtung verwiesen. Damit sei aber weder ein hypothetischer Erbgang für maßgeblich noch ein hypothetischer Erbe für restitutionsberechtigt angesehen worden. Vielmehr sei damit lediglich die Restitutionsberechtigung des tatsächlichen Erben mit der Hypothese des Gesetzgebers erläutert worden, jenem wäre der entzogene Vermögenswert ohne die Schädigung samt dem übrigen Nachlaß zugefallen. Mit Rücksicht auf die Erbstellung werde also wirtschaftlich nur die zeitliche Lücke zwischen Tod des Geschädigten und der Entstehung des Anspruchs in der Person seines Erben geschlossen. Daraus lasse sich für die Berechtigung eines anderen als des tatsächlichen Erben nichts herleiten. Schließlich ergebe sich auch aus dem Wiedergutmachungszweck keine andere Beurteilung, weil es sonst zu einer ungelösten Anspruchskonkurrenz komme.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

§ 1922 Abs. 1 BGB regelt lediglich den Nachlaß, der sich im Zeitpunkt des Todes des Erblasses tatsächlich in seinem Eigentum befand. Dazu zählten in SBZ und DDR geschädigte Vermögenswerte aber nicht. Insofern regelt die Vorschrift den Fall der ausgleichsrechtlichen Berechtigung nach § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG überhaupt nicht. Dies aber schließt es aus zu unterstellen, Erbe und Erbeserbe i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG könne ausschließlich derjenige sein, der tatsächlich die Erbschaft des Geschädigten angetreten hat. Das Gegenteil wird auch nicht durch das vom 8. Senat des BVerwG bemühte persönliche Näheverhältnis zwischen tatsächlichem Erben und Geschädigtem belegt. Dies belegt bereits der entschiedene Fall, in dem der Kläger Enkel des Geschädigten war, der tatsächliche Erbe infolge der Erbausschlagung aber der Staat.

Trotz der Nachlaßspaltung für das in der DDR belegene Immobilienvermögen fallen tatsächlicher Erbe und hypothetischer Erbe, der geerbt hätte, wenn dieses Vermögen nicht durch Maßnahmen des SED-Regimes geschädigt worden wäre, im Regelfall zusammen. Insbesondere in den Fällen der Erbausschlagung vor einem bundesdeutschen Nachlaßgericht fallen tatsächlicher und hypothetischer Erbe jedoch auseinander.

In diesen Fällen aber verlangt der mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verbundene Wiedergutmachungszweck, daß allein der hypothetische Erbe als berechtigter Erbe und Erbeserbe i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG behandelt wird. Eine Wiedergutmachung verlangt nämlich, daß durch Ausgleichsleistungen möglichst der Vermögenszustand wiederhergestellt wird, der vor der Schädigung bestanden hat. Bei Berücksichtigung des tatsächlichen Erben jedoch wäre eine Person ausgleichsleistungsberechtigt, die den Immobilienbesitz ohne die Schädigung in SBZ und DDR niemals erhalten hätte. Ihr gegenüber gibt es damit überhaupt keinen Grund, sie zu berechtigen. Vielmehr liefe mit der Auskehr der Ausgleichsleistung der mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verbundene Wiedergutmachungszweck ins Leere und derjenige, der ohne Schädigung die Immobilie in der DDR geerbt hätte, erhielte keine Wiedergutmachung.

Die ausschließliche, mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verbundene Zweckrichtung der Wiedergutmachung läßt sich auch nicht dadurch bestreiten, daß verfassungsrechtlicher Anlaß für den dort vorgesehenen Ausgleich vor allem das Sozialstaatsprinzip ist. Aus dem Sozialstaatsprinzip folgt insofern lediglich, daß der Gesetzgeber gegenüber den Opfern von Vermögensschädigungen durch das SED-Regime nicht untätig bleiben durfte. Dagegen besagt die verfassungsrechtliche Verankerung von Ausgleichsleistungsansprüchen nicht, daß damit allgemeine sozialrechtliche Ansprüche ohne Wiedergutmachungsgedanken gewährt werden sollten. Geradezu ins Groteske verkehrt wird die vom BVerwG erfolgte Bezugnahme auf das Sozialstaatsprinzip dann, wenn der von ihm als einzig mögliche Berechtigte, der tatsächliche Erbe, in keiner Weise des sozialen Ausgleichs bedarf, wie vorliegend der Staat.

Das dem einzigen Zweck des Ausgleichsleistungsgesetzes damit zuwiderlaufende Ergebnis ist auch nicht mit der vom 8. Senat des BVerwG angeführten Anspruchskonkurrenz zu rechtfertigen, da es eine solche nicht gibt. Ist nach § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG der hypothetische Erbe berechtigt, besteht daneben keine Berechtigung des tatsächlichen Erben. Insofern scheidet eine Konkurrenz von Ansprüchen des hypothetischen und des tatsächlichen Erben von vornherein aus.

Soweit sich der 8. Senat des BVerwG schließlich auf den vom 7. Senat des BVerwG geprägten Rechtssatz beruft, wonach der tatsächliche Erbe mit der vom Gesetzgeber aufgestellten Hypothese nur zum Ausdruck gebracht habe, jenem wäre der Vermögenswert ohne die Schädigung samt dem übrigen Nachlaß zugefallen, ist dieser dann zutreffend, wenn trotz einer Nachlaßspaltung tatsächlicher und hypothetischer Erbe zusammenfallen. Dagegen ist der Rechtssatz in sich grundlegend widersprüchlich, wenn tatsächlicher und hypothetische Erbe – wie im Fall der Erbausschlagung vor einem bundesdeutschen Nachlaßgericht – auseinanderfallen. Dann nämlich hätte der tatsächliche Erbe den Vermögenswert gerade nicht geerbt, wenn er nicht in SBZ oder DDR geschädigt worden wäre. Der 8. Senat des BVerwG stellt damit im entschiedenen Fall einen denklogisch ausgeschlossenen Rechtssatz auf. Bei einem Auseinanderfallen von tatsächlichem und hypothetischem Erben schließt § 1 Abs. 1 S. 1 AusglLeistG daher auch nicht nur eine zeitliche Lücke zwischen dem Tod des Geschädigten und dem Entstehen des Ausgleichsanspruchs, sondern ersetzt den tatsächlichen durch den hypothetischen Erben. Nur mit dieser wesentlichen Änderung läßt sich der Rechtssatz widerspruchslos aufstellen.

Die Entscheidung des 8. Senats des BVerwG mißachtet damit den mit dem Ausgleichsleistungsgesetz einzig verfolgten Wiedergutmachungszweck und führt im Ergebnis dazu, daß die vom Gesetz bezweckte Wiedergutmachung zugunsten des Staates ausbleibt. Dazu beruft er sich unberechtigt auf die verfassungsrechtliche Grundlage von Ausgleichsleistungsansprüchen, das Sozialstaatsprinzip, und behauptet eine tatsächlich nicht bestehende Anspruchskonkurrenz. Außerdem operiert er mit einem im vorliegenden Fall in sich widersprüchlichen Rechtssatz. Diese schweren Fehler machen die Begründung unvertretbar.

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