BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2007 –3 C 18.06

Gegenstand des Urteils ist der besondere Fall, daß eine Bodenreformmaßnahme im Einzelfall nachweislich von der sowjetischen Besatzungsmacht untersagt war und deshalb nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG nicht als auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage beruhend angesehen werden konnte. Der geltend gemachte Anspruch auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung konnte deshalb nur abgelehnt werden, wenn die eingeleiteten Maßnahmen der deutschen Organe in der SBZ keinen Akt der politischen Verfolgung i.S.v.§ 1 Abs. 2 VwRehaG darstellte und wenn dem Vermögensgesetz für diesen Fall nach § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG kein Vorrang vor dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zukommt.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Dieter Kley, Vorsitzender Richter am BVerwG
Dr. Sebastian Dette, Richter am BVerwG
Hans Jürgen van Schewick, Richter am BVerwG
Stefan Liebler, Richter am BVerwG
Prof. Dr. Klaus Rennert, Richter am BVerwG 

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Gegenstand des Urteils ist der besondere Fall, daß eine Bodenreformmaßnahme im Einzelfall nachweislich von der sowjetischen Besatzungsmacht untersagt war und deshalb nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG nicht als auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage beruhend angesehen werden konnte. Der geltend gemachte Anspruch auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung konnte deshalb nur abgelehnt werden, wenn die eingeleiteten Maßnahmen der deutschen Organe in der SBZ keinen Akt der politischen Verfolgung i.S.v.§ 1 Abs. 2 VwRehaG darstellte und wenn dem Vermögensgesetz für diesen Fall nach § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG kein Vorrang vor dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zukommt.

In seinem Urteil vom 28. Februar 2007 legt der 3. Senat des BVerwG dar, weshalb er annimmt, die sog. Demokratische Bodenreform sei jedenfalls dann keine politische Verfolgung, wenn sie Personen mit einem Hof in Größe von mehr als 100 ha betroffen hat. Ihnen sei seinerzeit keine persönliche Sanktion zugefügt worden. Dies ergebe sich daraus, daß die maßgeblichen Bodenreformverordnungen an die Größe des jeweils enteigneten Hofs und nicht an ein Fehlverhalten der Betroffenen angeknüpft hätten. Im übrigen habe die Bodenreform der Verteilung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen an landarme Bauern und Flüchtlinge aus den Ostgebieten gedient.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

In diesem Urteil bestimmt der Senat das gesetzliche Merkmal der politischen Verfolgung i.S.v. § 1 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwRehaG entgegen der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG sowie ohne jede rechtliche Absicherung in sinnwidriger Weise. Dazu verwertet es die Tatsachen der Verfolgung bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals nur selektiv verwertet und zeichnet damit ein Zerrbild der Unrechtsakte.

Die Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung ist jedenfalls durch die Genfer Flüchtlingskonvention vorgegeben und umfaßt nach ständiger Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG sämtliche Verfolgungsmaßnahmen, die ein Staat wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität oder sozialen Gruppe oder wegen einer politischen Überzeugung ergreift. Selbst diese Aufzählung ist nur beispielhaft. Zur Bestimmung der politischen Verfolgung hat das BVerwG früher auf die Motivationslage des Verfolgerstaates abgestellt, während das BVerfG in ständiger Rechtsprechung – zutreffend – auf die objektiven an äußeren Merkmalen erkennbare Gerichtetheit der Maßnahme abstellt. Der Begriff der politischen Verfolgung spiegelt dabei insbesondere die Verfolgungs- und Vertreibungsschicksale des vergangenen Jahrhunderts wieder. Der Senat geht auf diesen Prüfungsmaßstab jedoch nicht ein, sondern verneint die politische Verfolgung, weil die „Bodenreform“ der Bodenneuordnung gedient habe, ohne eine Sanktion für die Betroffenen dargestellt zu haben, und weil die Bodenreformverordnungen auf die Größe des Hofes, nicht aber auf die Personen abgestellt habe.

Es ist zwar zutreffend, daß die Bodenreformverordnungen auf die Größe der Höfe abgestellt und angegeben haben, sie dienten der Bodenneuordnung. Bei der nach objektiven Merkmalen erforderlichen Bestimmung der politischen Verfolgung läßt sich aber nicht nur auf die Angaben des Verfolgerstaates abstellen. Vielmehr muß der objektive Charakter der Maßnahme in den Blick genommen werden. Insofern mißachtet der 3. Senat des BVerwG die tatsächlichen Zusammenhänge der im Rahmen der „Bodenreform“ verübten Unrechtsmaßnahmen, weil er sie auf eine bloße Bodenneuordnung und den mit der „Bodenreform“ gegen „Junker“, „Feudalherren“ und „Großgrundbesitzer“ mit dem schlichten Hinweis darauf negiert, die Bodenreformverordnungen hätten (allein) an die Größe der „enteigneten“ Bodenflächen angeknüpft. Dabei steht außer Frage, daß die damaligen Machthaber mit der Bodengröße lediglich die zu verfolgende Personengruppe bestimmt haben.

Sogar nach dem eindeutigen Wortlaut der Bodenreformverordnungen steht aber außer Frage, daß es der kommunistischen Führung bei der „Bodenreform“ primär um die gesellschaftliche und wirtschaftliche „Ausrottung“, „Vernichtung“ und Kaltstellung der verfolgten Personengruppe ging. Dazu schreiben die Bodenreformverordnungen bereits in der Präambel von den Forderungen nach „Liquidierung des feudalen und junkerlichen Grundbesitzes“. In Art. I der Bodenreformverordnungen heißt es dann: „Die Bodenreform muß die Liquidierung der feudalen junkerlichen Großgrundbesitzer gewährleisten und der Herrschaft der Junker und Großgrundbesitzer im Dorf ein Ende bereiten, weil diese Herrschaft immer eine Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande darstellte und eine der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker war.“ Die Bodenreformverordnungen lassen also nicht den geringsten Zweifel daran, daß Ziel der kommunistischen Machthaber die gezielte persönliche Verfolgung der „Junker“ und „Feudalherren“ war. Die Bodenumverteilung war dagegen lediglich ein Nebeneffekt, den die Kommunisten ohnehin nie ernsthaft betrieben haben, weil – entgegen den Ankündigungen in den Bodenreformverordnungen – keinem Neusiedler Privateigentum übertragen wurde und die als sog. Arbeitseigentum überlassenen Bodenflächen bewußt nur so klein bemessen waren, daß sie wirtschaftlich nicht bearbeitet werden konnten, weshalb die Neubauern schon kurze Zeit später in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gezwungen wurden.

Die Annahme des 3. Senats des BVerwG, die Bodenreform habe nicht der politischen Verfolgung gedient, steht im übrigen in offenkundigem Widerspruch zu anderen Entscheidungen desselben Senats, in denen er ausdrücklich den politischen Verfolgungscharakter der Bodenreform auch in Fällen von Höfen über 100 ha bejaht (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 21. Februar 2002 – 3 C 16.01).

Daß der Senat diese Vorgaben der Bodenreformverordnung bei seiner Prüfung der politischen Verfolgung außer acht läßt, obgleich sie offen zutage liegen, ist ebenso unverzeihlich wie der Umstand, daß er in seiner Prüfung mit nicht einem Wort die weiteren gegen die Verfolgten ergriffenen Maßnahme etwa der Vertreibung, der Internierung, der systematischen Erzeugung einer Pogromstimmung, der Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, der Ausbürgerung oder der Registrierung als Kriegs- und Naziverbrecher erwähnt, obgleich auch gerade dadurch der Charakter der Bodenreform als politische Verfolgungsaktion begründet wird. Damit hat der Senat das tatsächlich verübte Unrecht verharmlost.

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