LG Dresden, Beschluß vom 18. Juni 2019 –BSRH 13/17

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag der sächsischen Präsidialkommission, mit dem den Inhabern eines Unternehmens zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Diesen Vorschlag hatte das sächsische Gesamtministerium im Umlaufverfahren bestätigt.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Dertinger, Richter am LG
Alexander Dost, Richter
Sandra David, Richterin am LG 

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Der Beschluß betrifft einen nach dem sächsischen Volksentscheid vom 30. Juni 1946 ergangenen Enteignungsvorschlag der sächsischen Präsidialkommission, mit dem den Inhabern eines Unternehmens zur Last gelegt worden war, sich nach Maßgabe von Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der von der Landesverwaltung Sachsen, vom Block der antifaschistischen Parteien, vom FDGB erlassenen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes schuldig gemacht zu haben. Diesen Vorschlag hatte das sächsische Gesamtministerium im Umlaufverfahren bestätigt.

Das LG Dresden hat die darauf gerichteten Rehabilitierungsanträge abgewiesen, weil es die Behauptung aufgestellt hat, die zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen seien nicht strafrechtlicher Natur gewesen. Dies stützt die Kammer zunächst auf die weitere Behauptung, der Betroffene sei von der Präsidialkommission lediglich den Kategorien der Naziverbrecher, der aktivistischen Nazis und der Kriegsinteressenten zugeordnet worden. Außerdem habe es keine Einigung im Block der antifaschistischen Parteien über den Strafzweck der Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes gegeben. Letztere Behauptung hat die Kammer auf den Umstand gestützt, daß die Kommissionen Enteignungsvorschläge infolge der Größe der betroffenen Betriebe gefaßt hätten.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Die sächsischen Richtlinien zum Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern enthalten insgesamt 15 individuelle Schuldtatbestände. Sie sind in drei Tatbestandsgruppen – 1. Naziverbrecher, 2. aktivistische Nazis, 3. Kriegsinteressenten – unterteilt, die jeweils mehrere, mit kleinen Buchstaben gekennzeichnete, individuelle Schuldtatbestände umfassen. Weil die Kommission den Enteignungsvorschlag mit den Ziff. 1 lit. b, Ziff. 2 lit. g und Ziff. 3 lit. e der Richtlinien begründet hat, hat sie jeweils auf die mit diesen Buchstaben bezeichneten individuellen Schuldtatbestände und nicht auf bloße Kategorien ohne individuellen Schuldtatbestände verwiesen. Damit ist die Behauptung der Kammer, der Betroffene sei lediglich einer (unspezifischen) Kategorie zugeordnet worden, offenkundig unzutreffend.

Unrichtig ist auch die weitere Behauptung des Gerichts, es habe keine Vereinbarung über den Strafzweck der Verfolgung gegeben. Es ist zwar zutreffend, daß die Kommissionen oftmals keinen Beweis für die den Betroffenen zur Last gelegten Taten erbringen konnten und dennoch Schuldvorwürfe nach Maßgabe der Richtlinien nur deshalb erhoben haben, weil sie Inhaber eines größeren Unternehmens waren. Selbst in diesen Fällen aber haben sie den Betroffenen konkrete, individuelle Schuldvorwürfe auf der Grundlage der Richtlinien zur Last gelegt. Sie haben damit die in den Richtlinien enthaltenen Schuldtatbestände aus politischen Gründen schwerwiegend mißbraucht.

Daraus zu schließen, es habe keine Einigung über den mit den Schuldtatbeständen der Richtlinien verbundenen Strafzweck gegeben, ist aber schon deshalb unvertretbar, weil die Kommissionen auch ohne Schuldnachweis individuelle Schuldvorwürfe nach Maßgabe der Richtlinien erhoben haben. Damit belegt bereits die Entscheidungspraxis der Kommissionen, daß es eine Einigung zwischen der Landesverwaltung Sachsen, den antifaschistischen Parteien und dem FDGB gab, die Unternehmer schuldig zu sprechen und damit zu bestrafen, selbst wenn diese Bestrafungsmaßnahmen kraß willkürlich vorgenommen wurden.

Unabhängig davon waren die Kommissionen aber nicht am Abstimmungsprozeß über die Richtlinien beteiligt. Vielmehr sind sie u.a. vom Präsidenten und Vizepräsidenten der Landesverwaltung Sachsen sowie den sächsischen Vorsitzenden der im Block vertretenen antifaschistischen Parteien verabschiedet und unterzeichnet worden. Damit wird auch die Aussage der Rehabilitierungskammer des LG Dresden widerlegt, es sei möglich, daß Teile der Parteien für die Verabschiedung der Richtlinien gewesen seien, es aber keine Vereinbarung mit sämtlichen Parteien gegeben habe.

Den spezifischen Strafzweck, dem die Richtlinien gedient haben, haben sie bereits selbst ausdrücklich festgelegt. Dazu heißt es dort wörtlich: „Der Volksentscheid richtet sich also ausschließlich gegen Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten. Das sind diejenigen, die das deutsche Volk ins Unglück gestürzt haben. ….. Der beabsichtigte Volksentscheid ist also keine wirtschaftliche Maßnahme …….“ Damit haben die Richtlinien die Forderungen der bürgerlichen Parteien CDU und LPD im Block festgeschrieben, die sich an der Aktion des Volksentscheids nur beteiligen wollten, wenn damit keine allgemeine Sozialisierungsaktion verbunden sei, sondern wenn sie auf die Bestrafung von Unternehmern beschränkt bleibe, die sich aufgrund individueller, in den Richtlinien festgeschriebenen Tatbeständen als Naziverbrecher, aktivistische Nazis oder Kriegsinteressenten schuldig gemacht hätten.

Der auf die individuellen Schuldtatbestände der Richtlinien bezogene spezifische Strafzweck ist darüber hinaus in mehreren amtlichen Dokumenten der Landesverwaltung Sachsen bestätigt worden, nämlich durch eine Deklaration und ein dazu verfaßtes Rundschreiben, in dem wegen der notwendigen Prüfung ausdrücklich auf die Richtlinien der Blockparteien und des FDGB verwiesen wurde, und durch ein weiteres Kommuniqué. Der Strafzweck wird außerdem im Aufruf der Blockparteien zum Volksentscheid explizit genannt.

Der Beschluß des LG Dresden stützt den fehlenden Strafcharakter daher ausschließlich auf in offenem Widerspruch zu den dokumentierten Tatsachen des Verfolgungsgeschehens stehen, weil er einerseits tatsächlich erhobene individuelle Schuldvorwürfe bestreitet und durch die Behauptung einer bloßen Zuordnung zu einer Kategorie ersetzt, sowie andererseits den dokumentierten Erlaß der Richtlinien und den damit ausdrücklich verbundenen Strafzweck abstreitet, ohne sich mit den maßgeblichen Beweisstücken dazu auseinanderzusetzen. Damit verharmlost die Rehabilitierungskammer gezielt die seinerzeit in besonders willkürlicher Weise praktizierte Repression durch die sächsische Präsidialkommission und das sächsische Gesamtministerium, um keine Strafverfolgung annehmen und das verübte Verfolgungsunrecht nicht strafrechtlich zu rehabilitieren.

LG Dresden, Beschluß vom 8. August 2008 – BSRH 22/06

Der Beschluß des LG Dresden vom 8. August 2008 ist im Rahmen eines strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens ergangen, das einen Fall der von Sachsen ausgehenden sog. Industriereform zum Gegenstand hat. In diesem Verfahren hat der Antragsteller insbesondere vorgetragen, die bisherige Rechtsprechung der strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte sei beim Fällen im Zusammenhang mit dem sächsischen Volksentscheid von einem unzutreffenden und in wesentlicher Hinsicht verkürzten Sachverhalt ausgegangen und habe weder die zutreffenden Rechtsgrundlagen der Verfolgung noch die tatsächlich verhängten Sanktionen ermittelt. Dazu sind diverse Dokumente zu dem verübten Verfolgungsgeschehen vorgelegt worden.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Gerd Halfar, Präsident des LG
Martin Schulze-Griebler, Vizepräsident des LG
Sabine Hofmann, Richterin am LG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Der Beschluß des LG Dresden vom 8. August 2008 ist im Rahmen eines strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens ergangen, das einen Fall der von Sachsen ausgehenden sog. Industriereform zum Gegenstand hat. In diesem Verfahren hat der Antragsteller insbesondere vorgetragen, die bisherige Rechtsprechung der strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte sei beim Fällen im Zusammenhang mit dem sächsischen Volksentscheid von einem unzutreffenden und in wesentlicher Hinsicht verkürzten Sachverhalt ausgegangen und habe weder die zutreffenden Rechtsgrundlagen der Verfolgung noch die tatsächlich verhängten Sanktionen ermittelt. Dazu sind diverse Dokumente zu dem verübten Verfolgungsgeschehen vorgelegt worden.

Wegen des bislang in der Rechtsprechung nicht behandelten Sachvortrags sah es die Kammer für Rehabilitierung des LG Dresden für erforderlich an, eine mündliche Erörterung anzuberaumen. Hierauf hat der Antragsteller durch seine Anwälte in einer „Presseerklärung“ hinweisen lassen, in der er seine Rechtsposition in wenigen Worten dargelegt und besonders deutlich gemacht hat, bislang seien sämtliche strafrechtlichen Rehabilitierungsanträge zum Verfolgungskomplex der sog. Industriereform ohne mündliche Erörterung abgelehnt worden.

Von dieser „Presseerklärung“, die im Internet nachgelesen werden konnte, hat die Kammer für Rehabilitierung Kenntnis erhalten und den bereits anberaumten Termin zur mündlichen Erörterung wieder aufgehoben und bestimmt, daß über den Rehabilitierungsantrag ausschließlich im schriftlichen Verfahren entschieden werden solle. Diesen Beschluß hat sie damit begründet, der Termin zur mündlichen Erörterung sei bestimmt worden, um dem Antragsteller Gelegenheit zu geben, seine auf einem besonders umfangreichen schriftlichen Sachvortrag beruhende und einer von der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des OLG Dresden abweichenden Rechtsauffassung mündlich abschließend zu erörtern. Wegen der im Internet verbreiteten Presseerklärung sei aber eine zusätzliche Aufbereitung des Verfahrensstoffs entgegen der ursprünglichen Annahme des Gerichts durch eine mündliche Erörterung nicht mehr zu erwarten. In der Presseerklärung sei insofern der Eindruck erweckt worden, die Kammer habe bereits durch die Bestimmung des Erörterungstermins zu erkennen gegeben, geneigt zu sein, ihre bisherige ständige Rechtsprechung aufzugeben. Zudem sei angekündigt worden, im Erörterungstermin „ein wichtiges Stück Zeitgeschichte aufzudecken“. Auch dies deute darauf hin, daß die mündliche Erörterung als öffentliches Forum genutzt werden sollte.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Abweichend von den vor den Verwaltungsgerichten durchzuführenden Verfahren zur Überprüfung einer verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsentscheidung sieht das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz grundsätzlich eine Entscheidung ohne mündliche Erörterung vor. Das Gericht kann sie aber anordnen, wenn es dies zur Aufklärung des Sachverhalts oder aus anderen Gründen für erforderlich hält (§ 11 Abs.3 StrRehaG). Die Entscheidung, eine mündliche Erörterung anzuberaumen, steht damit nicht im Belieben des Gerichts. Vielmehr hat es darüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.

Die Entscheidung der Kammer des LG Dresden, den Termin zur mündlichen Erörterung nachträglich wieder aufzuheben, ist danach aus mehreren Gründen unhaltbar und rechtswidrig. Das dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgericht obliegende Ermessen bei der Entscheidung über die Durchführung einer mündlichen Erörterung war in diesem Fall auf Null reduziert, weil der Vortrag des Antragstellers den Inhalt zuvor gestellter Rehabilitierungsanträge bei weitem überstieg, weil er die Verfolgungssituation, die bislang weder zeithistorisch noch juristisch aufgearbeitet ist, mit vielen Details und bislang unbekannten Dokumenten belegt hat und weil die Kammer in ihrer Rechtsprechung jeweils von einem anderen Sachverhalt ausgegangen ist. Wegen der Ermessensreduzierung auf Null war die Kammer gehalten, eine mündliche Erörterung durchzuführen. Die Aufhebung des Erörterungstermins war schon deshalb rechtswidrig.

Im übrigen läßt die Begründung für die Aufhebung des Erörterungstermins schwere Rechtsfehler erkennen. Grundlos ist bereits die Annahme, von der mündlichen Erörterung sei wegen der vom Antragsteller und seinen Rechtsanwälten herausgegebenen Presseerklärung eine weitere Klärung des Verfahrensstoffs nicht mehr zu erwarten. Dies gilt schon deshalb, weil der Kammer nicht bekannt sein konnte, was noch im Erörterungstermin verhandelt werden würde. Dann fehlt jeder Anhaltspunkt für Annahme der Kammer, ein von ihr zunächst angenommener Aufklärungsbedarf sei durch die Presseerklärung wieder entfallen.

Ingesamt macht der Beschluß auch ein problematisches Grundrechtsverständnis der Kammer offenkundig. Ein Antragsteller ist schon durch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) legitimiert, seine Auffassungen zu einem Gerichtsverfahren, zu einzelnen Verfahrensschritten und zu der dort thematisierten Verfolgungssituation zu äußern. Darüber hinaus besteht an den vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalten auch ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, weil sowohl das Verfahren vor dem LG Dresden als auch die ihm zugrunde liegenden Vorgänge der sog. Industriereform rechtlich und zeithistorisch außergewöhnlich sind und die Gesellschaft im demokratischen Rechtsstaat bewegen. Auch die Befriedigung eines legitimen Informationsbedürfnisses steht unter dem Schutz des Grundgesetzes (Art. 5 Abs. 1 a.E. GG). Wenn die Kammer die Presseerklärung zum Anlaß nimmt, einen bereits anberaumten Erörterungstermin wieder aufzuheben und dem Antragsteller damit einen Rechtsnachteil zuzufügen, dann greift sie mit solchen Maßnahmen in verfassungswidriger Weise in die Meinungsfreiheit des Antragstellers ein. Auch deshalb ist das Vorgehen der Kammer rechtsstaatlich untragbar.

Wegen dieses Verfahrens ist die Bundesrepublik Deutschland auch vom EGMR mit Urteil vom 9. Juni 2016 – 44164/14 wegen Verletzung der Garantie der öffentlichen Gerichtsverhandlung (Art. 6 Abs. 1 EMRK) verurteilt worden.

LG Dresden, Beschluß vom 2. April 2008 – BSRH 14/06

Der Beschluß ist aufgrund eines Antrags auf strafrechtliche Rehabilitierung des Rechtsnachfolgers eines von der sächsischen Kommission für Beschlagnahme und Sequestration als Kriegsinteressent beschuldigten Betroffenen ergangen, dem als Folge von im Zusammenhang mit dem Sächsischen Volksentscheid erhobenen Schuldvorwürfen diverse betriebliche Vermögenswerte entzogen worden sind. In dem Rehabilitierungsantrag hatte der Antragsteller Aufhebung der konkret gegen ihn erhobenen Schuldvorwürfe und die Rückgabe der deshalb entzogenen Vermögenswerte verlangt.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter:

Gerd Halfar Position: Präsident des LG
Martin Schulze-Griebler Position: Vizepräsident des LG
Sabine Hofmann Position: Richterin am LG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Auf die Schuldvorwürfe geht die Kammer des LG Dresden nicht mit einem Wort ein. Vielmehr hält sie den Antrag für unzulässig. Dazu legt die Kammer zunächst dar, nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers sei die Sequestrierung der Vermögenswerte auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30.10.1945 erfolgt und sie sei durch den SMAD-Befehl Nr. 64 vom 17.4.1948 bestätigt worden. Ohne jede Begründung behauptet die Kammer dann: „Die Sequestration ist daher als besatzungsrechtliche Maßnahme anzusehen, die einer Rehabilitierung nach dem StrRehaG nicht zugänglich ist.“

Darüber hinaus meint die Kammer, die zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen seien nicht strafrechtlicher Natur. Dazu macht sie zwar etwas längere, standardmäßig formulierte Ausführungen. Grund für die Ablehnung des strafrechtlichen Charakters ist dabei aber allein die Auffassung der Kammer, mit den Maßnahmen sei kein spezifischer Strafzweck verfolgt worden.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Der Beschluß krankt bereits entscheidend an dem Umstand, daß die Richter über einen nicht zur Rehabilitierung gestellten Sachverhalt entschieden haben. Der Antragsteller hat die Rehabilitierung wegen der gegen ihn erhobener Schuldvorwürfe und wegen der deshalb u.a. erfolgten „Einziehung des betrieblichen Vermögens“ beantragt. Die Kammer entscheidet dagegen allein über eine „Sequestration“, also über eine nur vorläufige Vermögensbeschlagnahme, die als solche mit keinem Schuldvorwurf verbunden war und lediglich der zeitweiligen Sicherung von Vermögenswerten diente, um eine weitere Untersuchung zu ermöglichen. Allein für diese Maßnahmen war die von der Kammer herangezogene Rechtsgrundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 maßgeblich.

Die vom Rehabilitierungsantrag tatsächlich erfaßten Maßnahmen, über welche die Kammer ausweislich ihrer Entscheidungsgründe überhaupt nicht entschieden hat, waren dagegen auf die der Kammer bekannten Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid gestützt, der im Vorgriff auf die KRD Nr. 38 konkrete Straftatbestände enthielt und auf deren Grundlage die Schuldvorwürfe gegen den Betroffenen erhoben worden waren.

Der schwere Fehler, ausweislich der Entscheidungsgründe über einen vollständigen anderen Sachverhalt als den zur Rehabilitierung gestellten entschieden zu haben, ist auch nicht dadurch entschuldbar, daß sich der Antragsteller darauf berufen haben mag, Rechtsgrundlage der Verfolgungsmaßnahmen sei der SMAD-Befehl Nr. 124 gewesen. Vielmehr ist die Kammer nach § 10 I StrRehaG verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Dazu gehört auch die seinerzeit in der SBZ angewandte Rechtsgrundlage, die eine dem Beweis zugängliche sog. Rechtstatsache darstellt, weil es sich dabei um Rechtssätze einer nicht bundesdeutschen Rechtsordnung gehandelt hat.

Einen weiteren schweren Gesetzesverstoß hat die Kammer mit der Behauptung begangen, eine strafrechtliche Rehabilitierung sei ausgeschlossen, „weil es sich insoweit um eine Maßnahme auf besatzungsrechtlicher Grundlage handelt, die einer Rehabilitierung durch deutsche Stellen nicht zugänglich ist.“ Diese durch nichts belegte Darlegung ist mit dem Regelungsgehalt des § 1 I, V StrRehaG unvereinbar. Danach gilt das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz immer dann, wenn eine strafrechtliche Entscheidung im Zeitraum vom 8.5.1945 bis zum 2.10.1990 eines deutschen Gerichts oder eines nicht-gerichtlichen Organs mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlich rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist. Haben daher deutsche Gerichte oder nicht-gerichtliche Organe in der SBZ auf besatzungsrechtlicher Grundlage, etwa der ersten, in der SBZ angewandten Wirtschaftsstrafgesetzgebung des SMAD-Befehls Nr. 160, entschieden, besteht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß eine strafrechtliche Rehabilitierung wegen des besatzungsrechtlichen Charakters der deutschen Stellen ausgeschlossen sein könnte. Nicht anwendbar ist das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz für Strafmaßnahmen in der SBZ nur dann nicht, wenn diese von sowjetischen Organen verhängt worden sind.

Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz setzt insofern die zwischen den beiden deutschen Staaten im Einigungsvertrag getroffenen Vereinbarungen um. Nach Art. 17 EVertr bekräftigen beide Staaten „ihre Absicht, daß unverzüglich eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wird, daß die Personen rehabilitiert werden können, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats- und verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung geworden sind.“ Ausnahmen von dieser Vereinbarung für Strafverfolgungsmaßnahmen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enthält der Einigungsvertrag an keiner Stelle.

Dies gilt auch für die Regelungen der Gemeinsamen Erklärung, die nach Art. 41 I EVertr Bestandteil des Einigungsvertrages geworden sind. Nr. 1 Satz 1 GemErkl. sieht zwar vor, daß Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage nicht mehr rückgängig gemacht werden. Diese Vereinbarung erfaßt aber nicht auch strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen. „Soweit es zu Vermögenseinziehungen im Zusammenhang mit rechtsstaatswidrigen Strafverfahren gekommen ist,“ hat sich die DDR nach Nr. 9 GemErkl. vielmehr verpflichtet, „die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Korrektur in einem justizförmigen Verfahren (zu) schaffen“.

Die Behauptung der Rehabilitierungskammer des LG Dresden, der besatzungsrechtliche Charakter einer Maßnahme stehe einer strafrechtlichen Rehabilitierung per se entgegen, verletzt damit in schwerwiegender Weise das geltende Recht, das vielmehr in seltener Eindeutigkeit das genaue Gegenteil regelt.

Der weitere Begründungsstrang, die zur Rehabilitierung gestellten Maßnahmen hätten keinen strafrechtlichen Charakter aufgewiesen, sondern seien Verwaltungsmaßnahmen gewesen, weil sie lediglich der Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse im Bereich der Wirtschaft und damit keinem spezifischen Strafzweck gedient hätten, ist ebenfalls unhaltbar. Diese Aussage ist allein darauf zurückzuführen, daß die Kammer unter Verstoß gegen § 10 I StrRehaG nicht die tatsächliche Rechtsgrundlage, auf welche die Verfolgung im Rahmen des sächsischen Volksentscheides gestützt war, ermittelt hat. Die seinerzeit maßgeblichen Richtlinien des sächsischen Volksentscheides, auf welche die Schuldvorwürfe und die weitere Verfolgung der betroffenen Industriellen gestützt war, haben im Gegenteil ausdrücklich bestimmt, daß es sich dabei um keine wirtschaftliche Maßnahme handele, sondern daß allein Maßnahmen gegen Kriegsverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten ergriffen werden sollten. Schon damit ist der von der Rehabilitierungskammer behauptete Zweck der Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse im Bereich der Wirtschaft klar widerlegt.

Das Unrecht der kommunistischen Machthaber in der SBZ bestand darin, daß den Betroffenen willkürlich schwerste Straftaten zur Last gelegt und darauf gestützt ihnen gegenüber erhebliche Sanktionen verhängt wurden. Durch diese das geltende Rehabilitierungsrecht derart offen mißachtende Entscheidung der Rehabilitierungskammer wird das kommunistische Verfolgungsunrecht nicht nur perpetuiert. Vielmehr ist den beteiligten Richtern vorzuhalten, dabei ähnlich willkürlich wie seinerzeit die kommunistischen Machthaber vorgegangen zu sein, weil sie geltendes Recht willkürlich in das genaue Gegenteil seines Regelungsgehalts verkehrt haben, um dem Betroffenen die gesetzlich vorgesehene strafrechtliche Rehabilitierung zu versagen

Im Hinblick darauf, daß Dresden mit dem Sächsischen Volksentscheid Vorreiter für die Verfolgung Industrieller war, kommt der Entscheidung der Dresdener Rehabilitierungskammer eine besonders negative Symbolfunktion zu. Der Beschluss zeigt deutlich, in welch grober Weise eine korrekte Sachverhaltsprüfung unterblieben ist und eklatante Normanwendungsfehler begangen wurden. Da zudem jedes Judiz Rechtsfolgenwirkungen hat, erzeugt eine solche Rechtsprechung u.U. fortwirkend weiteres Unrecht.