BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2001 –3 C 39.00

Das Urteil betrifft den verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsantrag zu einer auf das Baulandgesetz der DDR gestützten, 1987 erfolgten Enteignung eines Grundstücks, das vormals im Eigentum einer offenen Handelsgesellschaft (OHG) stand. Das VG Berlin hatte die Klage abgewiesen, weil die Enteignung weder eine politische Verfolgung noch einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt habe und daher die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG nicht erfüllt habe.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus, Vorsitzender Richter am BVerwG
Dr. Hermann Borgs-Maciejewski, Richter am BVerwG
Peter Kimmel,  Richter am BVerwG
Dr. Bernd Brunn, Richter am BVerwG
Hans Jürgen van Schewick, Richter am BVerwG

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Das Urteil betrifft den verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsantrag zu einer auf das Baulandgesetz der DDR gestützten, 1987 erfolgten Enteignung eines Grundstücks, das vormals im Eigentum einer offenen Handelsgesellschaft (OHG) stand. Das VG Berlin hatte die Klage abgewiesen, weil die Enteignung weder eine politische Verfolgung noch einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt habe und daher die gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG nicht erfüllt habe.

Das BVerwG geht dagegen zunächst nicht auf die Frage ein, ob die Enteignung eine von § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG erfaßte Verfolgungs- oder Willkürmaßnahme dargestellt hat. Vielmehr stützt es die Zurückweisung der Revision darauf, daß das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz nach § 1 Abs. 1 S. 2 VwRehaG nicht auf Maßnahmen anwendbar sei, die in den Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes fallen.

Dazu hat der 3. Senat dargelegt, nach der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 99, 82, 85) setzten Ansprüche nach dem Vermögensgesetz Maßnahmen voraus, die zielgerichtet den Verlust des zurückgeforderten Vermögenswertes bezweckt haben. Demgegenüber zielten die in § 1 VwRehaG vorausgesetzten Unrechtsmaßnahmen auf andere Zwecke ab und seien durch grob rechtsstaatswidrige Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre des Geschädigten gekennzeichnet (BVerwGE 102, 89, 93). Solche Eingriffe führten zwar nicht selten auch zu Vermögensentziehungen. Sie stellten aber gleichsam nur die Nebenfolge des primär bezweckten Zugriffs auf die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen dar (BVerwGE 106, 210).

Demgemäß habe die Rechtsprechung des BVerwG Ansprüche nach dem Vermögensgesetz verneint, wenn sich die inkriminierte Maßnahme nicht als zielgerichteter Zugriff auf den Vermögenswert, sondern als primär personenbezogener Unrechtsakt erwiesen habe (BVerwGE 102, 89, 90). Entsprechendes müsse aber auch für den umgekehrten Fall gelten: Maßnahmen, deren vorrangiger Zweck das Ansichbringen eines Vermögenswertes gewesen sei, unterfielen allein dem Vermögensgesetz und schlössen die Anwendung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes aus. Dies gelte selbst dann, wenn der auf das Vermögensgesetz gestützte Anspruch aus anderen Gründen nicht zum Erfolg führe, etwa wegen Verneinung unlauterer Machenschaften i.S.v. § 1 Abs. 3 VermG.

Da es bei der Enteignung auch an einem finalen Element fehle, eine Benachteiligung des Betroffenen herbeizuführen, sei auch das Merkmal „Willkürakte im Einzelfall“ i.S.v. § 1 Abs. 2 VwRehaG nicht erfüllt, das die Tendenz und Absicht voraussetze, den Adressaten bewusst zu benachteiligen.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Das Urteil ist bereits mit Ausführungen begründet, die sich anläßlich dieses Falles gar nicht gestellt haben. Der Senat geht davon aus, daß die Enteignung nicht darauf gerichtet war, den Adressaten zu benachteiligen. Damit ist der Kläger durch sie weder politisch verfolgt noch durch einen Willkürakt i.S.v. § 1 Abs. 2 VwRehaG im Einzelfall geschädigt worden. Deshalb ist schon der in § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG geregelte Anwendungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nicht betroffen. Die durch das Gericht entschiedene Frage, ob dieser nach § 1 Abs. 1 S. 2 VwRehaG wegen eines Vorrangs des Vermögensgesetzes ausgeschlossen ist, hat sich daher von vornherein gar nicht mehr gestellt.

Wesentlich gravierender jedoch ist die Fehlleistung, daß der Senat der Bestimmung des § 1 Abs. 1 S. 2 VwRehaG einen Inhalt zuschreibt, der ihm nach den gesetzlichen Regelungen offenkundig nicht zukommt. Der Senat stellt dazu die Behauptung auf, das Vermögensgesetz sei stets anzuwenden, wenn die Machthaber in er DDR den Zugriff auf Vermögenswerte bezweckt hätten. Nur dann, wenn ein solcher Zweck nicht feststellbar sei und ein nur die Persönlichkeitssphäre benachteiligender Unrechtsakt allein die an sich nicht intendierte Nebenfolge einer Vermögensschädigung herbeigeführt habe, soll das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz eingreifen. Dies soll selbst dann gelten, wenn ein bezweckter Vermögenszugriff weitere gesetzliche Voraussetzungen nicht erfüllt.

Es mag zwar durchaus zutreffend sein, daß die Anwendung des Vermögensgesetzes eine Vermögensschädigung voraussetzt, mit der die Machthaber in der DDR den Zugriff auf Vermögenswerte bezweckt haben. Ob daraus aber auch, wie der Senat meint, folgt, daß das Vermögensgesetz immer anwendbar ist, wenn in SBZ und DDR mit der vermögensrechtlichen Schädigungsmaßnahme ein solcher Zweck verfolgt ist, kann jedoch nicht einfach behauptet werden. Vielmehr sind dazu die gesetzlichen Vorgaben für die Bestimmung des Geltungsbereichs des Vermögensgesetzes heranzuziehen und anzuwenden. Dies aber hat er Senat vollständig unterlassen. Statt dessen behauptet er den vollständigen Ausschluß des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes für sämtliche Fälle, in denen das SED-Regime den Zugriff auf Vermögenswerte bezweckt hat und zwar selbst dann, wenn das Vermögensgesetz auf den Fall gar nicht anwendbar ist, weil andere Tatbestandselemente in § 1 Abs. 1 bis 5 VermG nicht vorliegen. Dabei beruht die vom 3. Senat des BVerwG angenommene Abgrenzung von Vermögensgesetz und Verwaltungsrechtlichem Rehabilitierungsgesetz ausschließlich auf der Grundlage von Einzelfallentscheidungen des BVerwG, nicht aber auf der Auslegung der maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben. Sie setzt deren Aussage, das Vermögensgesetz verlange, daß der Vermögenszugriff seinerzeit bezweckt war, in der Weise absolut, dieser Zweck bedinge stets die Anwendung des Vermögensgesetzes. Außerdem schließe er die Anwendung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes selbst dann aus, wenn das Vermögensgesetz trotz des bezweckten Vermögenszugriffs nicht anwendbar ist, weil andere Tatbestandselemente von § 1 Abs. 1 bis 5 VermG nicht erfüllt sind.

Diese Argumentation ist schon deshalb unvertretbar, weil sich aus den in Bezug genommenen Entscheidungen des BVerwG nur ergibt, daß die Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes in den entschiedenen Fällen jeweils einen bezweckten Vermögenszugriff voraussetzten, nicht aber, daß ein solcher Zweck allein die Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes und die Anwendbarkeit des Verwaltungsrechtlichen Vermögenszugriffs per se ausschließe. Dies gilt erst recht für die Annahme, der Zweck des Zugriffs auf Vermögenswerte schließe selbst dann die Anwendbarkeit des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes aus, wenn das Vermögensgesetz trotz der bezweckten Vermögensschädigung nicht anwendbar ist. Zu dieser Konstellation haben sich die zitierten Entscheidungen des BVerwG nicht geäußert. Insofern beruht die Argumentation des 3. Senats auf einem Trugschluß und stellt schon deshalb einen Verstoß gegen die Denkgesetze dar.

Noch schwerer wiegt, daß der Senat die maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften nicht berücksichtigt und in offenem Widerspruch dazu entschieden hat. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG und § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwRehaG. Danach gilt das Vermögensgesetz nur für Enteignungen, das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz dagegen für Zugriffe auf Vermögenswerte, die „der politischen Verfolgung gedient oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt haben“. Dabei meint der Begriff der Enteignung schon nach seinem Wortsinn nur den bloßen Entzug des Eigentums durch den Staat, erfaßt aber nicht auch die Vermögensschädigung, die auf einer politischen Verfolgung beruht. Sie wird nicht als Enteignung, sondern als Vermögensentziehung oder strafrechtliche Vermögenseinziehung bezeichnet. Schon der Wortlaut der genannten Bestimmungen spricht deshalb dafür, das Vermögensgesetz nur den Vermögensentzug, der nicht verfolgungsbedingt erfolgt ist, regelt, während das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz Vermögenszugriffe erfaßt, die Folge einer politischen Verfolgung waren. Für die Annahme des 3. Senats des BVerwG, das Vermögensgesetz gelte auch für verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe, wenn die DDR damit zugleich auf das Vermögen abgezielt habe, während das Verwaltungsgerichtliche Rehabilitierungsgesetz nur dann anwendbar sein soll, wenn der Vermögensverlust lediglich die (unbeabsichtigte) Folge einer gegen die Persönlichkeitssphäre gerichteten Verfolgungsmaßnahme war, geben die Gesetzestexte von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG und § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwRehaG nichts her.

Hinzu kommt, daß § 1 Abs. 1 und 5 StrRehaG auch die Rehabilitierung von strafrechtlichen Vermögenseinziehungen und Geldstrafen vorsieht. Mit der Verhängung dieser Strafen zielte die DDR immer auch auf den Vermögensverlust des strafrechtlich politisch Verfolgten ab. Häufig sind Wirtschaftsstraf- und strafrechtliche Entnazifizierungsverfahren sogar ausschließlich deshalb durchgeführt worden, um sich des Vermögens des verfolgten Unternehmensinhabers zu bemächtigen. Dennoch enthält das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz keinen Anwendungsausschluß für vermögensschädigende Strafverfolgungsmaßnahmen. Wenn aber auf vermögensschädigende Verfolgungsakte auch das Vermögensgesetz anwendbar sein sollte, könnte ein Betroffener für vermögensschädigende Verfolgungsakte sowohl Rehabilitierungsansprüche als auch vermögensrechtliche Ansprüche geltend machen. Insofern wäre er etwa in der Lage, nach der strafrechtlichen Rehabilitierung als Folgeanspruch die Rückgabe des Vermögenswertes und im parallel verlaufenden vermögensrechtlichen Verfahren zusätzlich eine Entschädigung für den Vermögensverlust zu verlangen. Dies ist schon mit dem im Wiedergutmachungsrecht verfolgten Grundsatz der unzulässigen doppelten Wiedergutmachung nicht vereinbar.

Unvertretbar ist die Entscheidung des 3. Senats des BVerwG schließlich deshalb, weil der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 3 VwRehaG leer läuft, wenn der Geltungsbereich des Vermögensgesetzes grundsätzlich auch auf verfolgungsbedingte Vermögensverluste ausgedehnt wird. Die DDR hat den Vermögenszugriff nämlich stets auch dann bezweckt, wenn sie eine Person politisch verfolgt hat. Insofern stellte der Zugriff auf die Persönlichkeitssphäre auch einen politischen Mißbrauch dar, um Vermögenswerte in Volkseigentum zu überführen. Die einzige Ausnahme bilden Vermögensverluste, die als Folge der Zwangsaussiedlung an der innerdeutschen Demarkationslinie vorgenommen worden sind. Diese Fälle aber sind speziell in § 1 Abs. 3 VwRehaG geregelt.

Die rechtlich nicht vertretbare Abgrenzung von Vermögensgesetz und Verwaltungsrechtlichem Rehabilitierungsgesetz, die das BVerwG in dieser Entscheidung eigentlich gar nicht hätte vornehmen müssen, weil die Enteignung auf der Grundlage des Baulandgesetzes weder eine politische Verfolgungsmaßnahme noch einen Willkürakt im Einzelfall darstellte, ist aber offenbar hier deshalb schon erfolgt, um sie bei späteren Entscheidungen zur Boden- und Industriereform darauf zurückgreifen und als bereits entschieden hinstellen zu können.

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