Verantwortliche Richter:
Dr. Otto Seidl, Vizepräsident des BVerfG
Prof. Dr. Dieter Grimm, Richter am BVerfG
Dr. Jürgen Kühling, Richter am BVerfG
Helga Seibert, Richterin am BVerfG
Dr. h.c. Renate Jaeger, Richterin am BVerfG
Prof. Dr. Evelyn Haas, Richterin am BVerfG
Dr. Dieter Hömig, Richter am BVerfG
Prof. Dr. Udo Steiner, Richter am BVerfG
Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung:
Der sog. Bodenreform II-Beschluß des BVerfG vom 18. April 1996 ist im Anschluß an das sog. Bodenreformurteil des BVerfG vom 23. April 1991 ergangen. Grund dafür war der Umstand, daß mehrere Beschwerdeführer geltend gemacht hatten, das sog. Bodenreformurteil beruhe auf falschen Tatsachen, weil es für die Wiedergutmachung der Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage keine Vorbedingungen von UdSSR und DDR gegeben habe.
Der Bodenreform II-Beschluß wird zumeist lediglich als Bestätigung des Bodenreformurteils verstanden. Tatsächlich unterscheiden sich beide Entscheidungen jedoch grundlegend. Dabei ist das Bodenreformurteil de lege artis begründet, der Bodenreform II-Beschluß, der überwiegend bereits von anderen Richtern gefällt worden ist, dagegen nicht.
Um dies zu verstehen, muß zunächst auf das Bodenreformurteil vom 18. April 1991 eingegangen werden. Dessen Gegenstand war lediglich die Vereinbarung in Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 (GE). Die darin enthaltenen Regelungen waren zunächst lediglich politische Absichtserklärungen der Regierungen der beiden deutschen Staaten, wie bei einer künftigen Wiedergutmachungsgesetzgebung mit Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage verfahren werden sollte. Dagegen ist im Bodenreformurteil nicht über die Wiedergutmachungsgesetzgebung selbst entschieden worden, weil diese für derartige Schädigungen noch nicht erlassen war. Die maßgeblichen Vereinbarungen in Nr. 1 GE haben folgenden Wortlaut:
„Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen. Die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Möglichkeit, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, daß einem künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muß.”
Den Inhalt dieser Vereinbarungen hat das BVerfG im Bodenreformurteil aufgrund einer eingehenden Beweisaufnahme über die Verhandlungen der Regierungen der BRD und der DDR wie folgt bestimmt (BVerfGE 84, 90, 121):
„Die Regelung in Nr. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung verbietet es, die Enteignungen als nichtig zu behandeln, und schließt es darüber hinaus aus, ihre Folgen durch eine Rückgabe der enteigneten Objekte umfassend zu bereinigen. ….. Die angegriffene Regelung schließt es im übrigen nicht aus, daß im Rahmen der beabsichtigten Ausgleichsleistung auch die Möglichkeit eines Rückerwerbs ihres ehemaligen Eigentums eingeräumt wird, soweit dies im Einzelfall möglich und von der Interessenlage her angezeigt ist.”
Im Bodenreformurteil hat das BVerfG also festgestellt, daß Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage lediglich als nicht als nichtig behandelt werden dürfen. Dagegen sollte es dem Gesetzgeber aufgrund der Vereinbarung in Nr. 1 Satz 4 GE sehr wohl möglich sein, einen Rückerwerb zugunsten der Alteigentümer vorzusehen, also öffentlich-rechtlich gesprochen auch eine Rückgabe.
Diese Bestimmung des Inhalts von Nr. 1 GE entspricht auch den Forderungen, welche die DDR und die UdSSR während der Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung erhoben haben:
Danach wollte die DDR verhindern, daß seit 1945 an Bürger der DDR übertragene Vermögenswerte an Geschädigte besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Enteignungen zurückgegeben werden. Dies wäre aber rechtlich zwingende Folge gewesen, wenn diese Schädigungsmaßnahmen vom Bundesgesetzgeber als von Anfang als nichtig behandelt worden wären. Dagegen ging es der DDR nicht um die Festschreibung von ehemaligem Volkseigentum und um die Sicherung von Eigentum des bundesdeutschen Staates. Wegen dieses Vermögens hat die DDR niemals Forderungen erhoben, weshalb der bundesdeutsche Gesetzgeber darum auch einen Rückerwerb (Rückschenkung) oder- öffentlich-rechtlich gesprochen – eine Rückgabe vorsehen können sollte.
Die Gemeinsame Erklärung ist im übrigen zwar nicht mit der UdSSR abgeschlossen worden. Überhaupt existieren keine völkerrechtlichen Vereinbarungen mit der Sowjetunion hinsichtlich der Behandlung von Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage. Die UdSSR hat sich jedoch auf rein politischer Ebene mit den Vereinbarungen in der Gemeinsamen Erklärung einverstanden erklärt und damit zum Ausdruck gebracht, daß damit ihre Forderungen erfüllt sind. Insofern hatte die UdSSR auch jeweils nur verlangt, Deutschland dürfe die völkerrechtliche Legitimität und die Rechtmäßigkeit der Enteignungen nicht in Frage stellen. Damit wollte sie verhindern, daß das vereinte Deutschland wegen besatzungshoheitlicher Maßnahmen der Sowjetunion als Besatzungsmacht völkerrechtliche Schadensersatzansprüche gegen die UdSSR geltend macht. Dieser Forderung ist durch das Verbot, diese Enteignungen als nichtig zu behandeln, entsprochen worden. Für die ausschließlich innerdeutsche Rechtsfrage einer Wiedergutmachung einschließlich der Rückgabe von in ehemaligem Volkseigentum stehenden Vermögenswerten hat sich die UdSSR dagegen nie interessiert. Ihre Forderungen bezogen sich ausschließlich auf die außenpolitischen Aspekte.
Im Gegensatz zur Bestimmung des Regelungsgehalts von Nr. 1 GE. durch das Bodenreformurteil nimmt der Bodenreform II-Beschluß an, durch Art. 143 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 41 Abs. 1 EV i.V.m. Nr. 1 Satz 1 GE sei „der Ausschluß der Rückgabe von Vermögenswerten, die in den Jahren 1945 – 1949 in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands auf besatzungsrechtlicher oder -hoheitlicher Grundlage enteignet wurde”, im Grundgesetz „für bestandskräftig erklärt worden”. Damit behauptet das Gericht, Nr. 1 Satz 1 GE enthalte nicht nur ein Verbot, die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage als nichtig zu behandeln, sondern umfasse auch ein Rückgabeverbot. Dazu wird jedoch der Inhalt von Nr. 1 Satz 1 und 4 GE. nicht nach den für völkerrechtliche Normen maßgeblichen Grundsätzen ausgelegt. Statt dessen legt der Erste Senat lediglich dar, „die Einschätzung, ob die Wiedervereinigung in der Tat von der Zustimmung zum Restitutionsausschluß abhing, war Sache der Bundesregierung. Dieser steht im Bereich der Außenpolitik – Gleiches gilt für die Deutschlandpolitik im Verhältnis zur DDR (vgl. BVerfGE 36, 1 [17f.] – ein breiter Raum politischen Ermessens zu. ….”
Warum die Entscheidung unvertretbar ist:
Der Bodenreform II-Beschluß unterstellt einen Inhalt von Nr. 1 Satz 1 GE, der diesem nicht zukommt und den er nach den eingehenden Feststellungen des BVerfG im Bodenreformurteil auch nicht aufweist. Danach steht außer Frage, daß Nr. 1 Satz 1 GE gerade kein Rückgabeverbot enthält, sondern eine Rückgabe als Ausgleichsleistung nach Nr. 1 Satz 4 GE sogar ausdrücklich zugelassen hat, wenn dies der Sache nach noch möglich und von der Interessenlage her geboten ist (so ausdrücklich: BVerfGE 84, 90, 121, 127).
Wenn das BVerfG im Bodenreform II-Beschluß im Anschluß an die Rechtsprechung des 7. Senats des BVerwG seit seinem Urteil vom 29. April 1994 – 7 C 59.93 – zu einer von den Feststellungen des BVerfG im Bodenreformurteil abweichenden Bestimmung des Regelungsgehalts von Nr. 1 Satz 1 GE kommen wollte, hätte es diese Vorschrift nach den für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge maßgeblichen Maßstäben interpretieren und eingehend belegen müssen, weshalb der vom BVerfG nach umfassender Beweisaufnahme im Jahre 1991 im Bodenreformurteil festgestellte Inhalt der Vereinbarung in Nr. 1 Satz 1 GE unzutreffend ist. Dazu hätte der Senat im einzelnen die tatsächlich gestellten Forderungen von DDR und UdSSR erneut ermitteln müssen, die nach den Feststellungen des BVerfG im Bodenreformurteil vom 23. April 1991 lediglich darauf gerichtet waren, DDR-Bürger vor Rückgabeforderungen und die UdSSR vor völkerrechtlichen Schadensersatzansprüchen zu schützen. Dazu äußert sich der Bodenreform II-Beschluß jedoch nicht.
Insofern ist es unerheblich, wenn der Bodenreform II-Beschluß statt dessen der Frage nach dem außenpolitischen Spielraum der Bundesregierung bei den deutsch-deutschen und deutsch-sowjetischen Wiedervereinigungsverhandlungen nachgeht. Darauf kommt es bei der Bestimmung des Inhalts von Nr. 1 Satz 1 GE nicht an. Diese Frage stellt sich erst, wenn der Inhalt einer (quasi)-völkerrechtlichen Vereinbarung bereits feststeht. Damit liegt der gesamte Begründungsaufwand, den der Erste Senat im Bodenreform II-Beschluß vorgenommen hat, um die Beachtung des außenpolitischen Beurteilungsspielraums der Bundesregierung zu belegen, neben der Sache.
Der Bodenreform II-Beschluß ist auch deshalb unvertretbar, weil er in sich widersprüchlich begründet ist. Der die Überzeugungskraft des gesamten Beschlusses ausschließende Widerspruch ergibt sich aus dem Umstand, daß der Senat einerseits behauptet, Nr. 1 Satz 1 GE enthalte ein Verbot der Rückgabe (BVerfGE 94, 12, 33, 46), andererseits aber ausdrücklich an der Feststellung im Bodenreformurteil festhält, Nr. 1 Satz 4 GE erkläre den Rückerwerb „im Rahmen der Gewährung von Ausgleichsleistungen” für zulässig (so in: BVerfGE 94, 12, 46). Da ein Rückerwerb auch eine Rückschenkung einschließt, ist es logisch ausgeschlossen, daß Nr. 1 Satz 1 GE ein Verbot der Rückgabe enthält.
Unvereinbar ist die Angabe, Nr. 1 Satz 1 GE enthalte ein Rückgabeverbot, auch mit der einfachgesetzlichen Umsetzung im Vermögensgesetz. Sie ist in der Bestimmung des § 1 Abs. 8 lit. a, 1. Halbs. VermG erfolgt, die das BVerwG zwar ebenfalls als Rückgabeverbot ausgibt. Dies aber steht in offenem Widerspruch zum tatsächlichen Regelungsgehalt der Norm, die ebenso wie für die Tatbestände in § 1 Abs. 8 lit. b – d VermG nur auch für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage nur die Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes ausschließt. Dies ist deshalb erfolgt, weil der Ausgleich für Vermögensschädigungen in den in § 1 Abs. 8 VermG nach Maßgabe anderer Vorschriften erfolgt, ohne daß damit eine Aussage verbunden ist, ob dies durch eine Rückgabe oder eine andere Form des Vermögensausgleichs erfolgt. Insofern sieht § 5 Abs. 1 AusglLeistG ausdrücklich einen Rückgabeanspruch für auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteignete bewegliche Vermögenswerte vor. Der Gesetzgeber hätte sich also selbst widersprochen, wenn er in § 1 Abs. 8 VermG ein Rückgabeverbot geregelt hätte.
Der Bodenreform II-Beschluß ist also problematisch, weil er – im Widerspruch zu den Feststellungen im Bodenreformurteil vom 23. April 1991 – die einfachrechtlich und – durch die Bezugnahme auf die einfachrechtliche Rechtslage in Art. 143 Abs. 3 GG – auch die verfassungsrechtlich unrichtige Rechtsprechung des BVerwG, die ein in Nr. 1 GE nicht enthaltenes Rückgabeverbot behauptet hat, übernimmt. Damit führt die rechtlich unzutreffende Beschreibung der durch Nr. 1 Satz 1 GE vorgegebenen Rechtslage durch das BVerfG zu einer rechtlich unvertretbaren Perpetuierung der unzutreffenden Rechtsprechung des BVerwG.