BVerwG, Urteil vom 24. September 2003 –8 C 27.02

Das Urteil vom 24. September 2003 betrifft einen auf § 1 Abs. 1 lit. a VermG gestützte Antrag auf Rückgabe eines im Rahmen der sog. Bodenreform geschädigten Rittergutes im Rahmen der sog. Bodenreform. Es bejaht diesen Anspruch grundsätzlich, weil es unterstellt, daß Zugriffe auf Vermögenswerte im Zuge der Bodenreform entschädigungslose Enteignungen i.S.v. von § 1 Abs. 1 lit. a VermG dargestellt hätten. Obgleich der Vermögensverlust noch vor Gründung der DDR, also unter sowjetischer Besatzungshoheit erfolgte, hat das Gericht im vorliegenden Fall keine Enteignung auf einer besatzungsrechtlichen oder besatzungshoheitlichen Grundlage angenommen, weil dazu ein konkretes Enteignungsverbot der Besatzungsmacht vorgelegen habe.

Wortlaut der Entscheidung

Verantwortliche Richter: 

Dr. Hellmuth Müller, Vorsitzender Richter am BVerwG
Dr. Martin Pagenkopf, Richter am BVerwG
Günter Krauß, Richter am BVerwG
Hartmut Golze, Richter am BVerwG
Dr. Sibylle von Heimburg, Richterin am BVerwG 

Anlaß und maßgeblicher Inhalt der Entscheidung: 

Das Urteil vom 24. September 2003 betrifft einen auf § 1 Abs. 1 lit. a VermG gestützte Antrag auf Rückgabe eines im Rahmen der sog. Bodenreform geschädigten Rittergutes im Rahmen der sog. Bodenreform. Es bejaht diesen Anspruch grundsätzlich, weil es unterstellt, daß Zugriffe auf Vermögenswerte im Zuge der Bodenreform entschädigungslose Enteignungen i.S.v. von § 1 Abs. 1 lit. a VermG dargestellt hätten. Obgleich der Vermögensverlust noch vor Gründung der DDR, also unter sowjetischer Besatzungshoheit erfolgte, hat das Gericht im vorliegenden Fall keine Enteignung auf einer besatzungsrechtlichen oder besatzungshoheitlichen Grundlage angenommen, weil dazu ein konkretes Enteignungsverbot der Besatzungsmacht vorgelegen habe.

Warum die Entscheidung unvertretbar ist: 

Das BVerwG hätte die auf § 1 Abs. 1 lit. a VermG gestützte Klage abweisen müssen, weil Vermögensschädigungen im Rahmen der Bodenreform stets gegen Personen oder Personengruppen gerichtet waren und daher Akte politischer Verfolgung dargestellt haben. Statt dessen bestehen auch wegen der vermögensrechtlichen Schädigungen Rehabilitierungsansprüche nach § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG. Erst die Rehabilitierung des Betroffenen begründet Folgeansprüche und dabei auch vermögensrechtliche Ansprüche nach Maßgabe des Vermögensgesetzes (§ 7 Abs. 1 VwRehaG, § 1 Abs. 7 VermG). Für die Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes ist es dann nach § 1 Abs. 8 lit. a, 2. Halbs. VermG unerheblich, ob der Vermögensverlust auf besatzungsbezogener Grundlage oder nach Gründung der DDR eingetreten ist. Auf die Frage eines im Einzelfall bestehenden Enteignungsverbots der sowjetischen Besatzungsmacht kommt es daher von vornherein nicht.

Daß § 1 Abs. 1 lit. a VermG vermögensschädigende Verfolgungsakte durch die Bodenreform nicht erfaßt, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Es handelt sich hierbei um keine bloßen entschädigungslosen Enteignungen, sondern um verfolgungsbedingte Eingriffe in Vermögenswerte (§ 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwRehaG). Bei Enteignungen handelt es sich nur um rein objektbezogene Vermögensverluste, die die Persönlichkeitssphäre des Geschädigten nicht berühren. Wurde der Vermögenseingriff aber verübt, um eine bestimmte Person oder Personengruppe zu schädigen, liegt schon begrifflich keine bloße Enteignung vor.

Auch rechtssystematisch ist die Rechtslage eindeutig. Die unmittelbare Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes ist in § 1 Abs. 1 – Abs. 5 VermG geregelt. Sämtliche dieser Tatbestände erfassen keine Vermögensverluste, die gegen Personen oder Personengruppen gerichtet waren. Sie stellen vielmehr ausnahmslos objektbezogene Vermögensschädigungen dar. Auf verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe ist das Vermögensgesetz dagegen nur entsprechend anwendbar und zwar einerseits für verfolgungsbedingte Vermögenseingriffe unter NS-Herrschaft (§ 1 Abs. 6 VermG) und andererseits unter SED-Herrschaft (§ 1 Abs. 7 VermG, § 1 Abs. 1 und 2 VwRehaG, § 1 Abs. 1 StrRehaG). Dabei stellt § 1 Abs. 8 lit. a, 2. Halbs. VermG ausdrücklich klar, daß sich die Unanwendbarkeit des Vermögensgesetzes für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage nach § 1 Abw. 8 lit. a, 1. Halbs. VermG nicht für verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe i.S.v. § 1 Abs. 6 und 7 VermG gilt. Aus dem Umkehrschluß daraus ergibt sich erneut zwingend, daß § 1 Abs. 1 lit. a VermG, dessen Geltung für besatzungsrechtliche und besatzungshoheitliche Enteignungen ausgeschlossen ist, lediglich objektbezogene entschädigungslose Enteignungen, nicht aber verfolgungsbedingte Vermögenseingriffe i.S.v. § 1 Abs. 6 und 7 VermG erfaßt.

Dabei ergibt sich keine Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 1 Abs. 1 lit. a VermG aus dem Umstand, daß § 1 Abs. 7 VermG Ergebnis eines zweistufigen Verfahrens ist und erst eingreift, sobald eine Rehabilitierung vorliegt. Dies ergibt sich für strafrechtliche Verfolgungsakte bereits aus dem Umstand, daß jede wesentlich rechtsstaatswidrige strafrechtliche Vermögenseinziehung zu rehabilitieren ist, weil das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz keine seinen Anwendungsbereich beschränkenden Regelungen enthält. Das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz enthält zwar in § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 VwRehaG Tatbestände, die den nach § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG eröffneten Geltungsbereich beschränken. Sie dienen aber ganz überwiegend lediglich dem Zweck, Überschneidungen von Vermögensschädigungen, die bereits vom Vermögensgesetz oder seinen Nichtanwendungstatbeständen in § 1 Abs. 8 VermG erfaßt werden, mit solchen, für die der Anwendungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes eröffnet ist, auszuschließen. Solche Überschneidungen hat der Gesetzgeber gegenüber vom Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erfaßten Vermögenseinziehungen nicht gesehen. Dieses Gesetz erfaßt aber keine nur objektbezogenen Vermögensverluste, sondern gilt ausschließlich für verfolgungsbedingte Vermögenseinziehungen. Da auch das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsrecht nach der Denkschrift zum Einigungsvertrag (BT-Drucks. 11/7760, S. 355, 363) vergleichbar dem strafrechtlichen Rehabilitierungsrecht ausgestaltet werden sollte, spricht nichts dafür, daß verwaltungsrechtliche verfolgungsbedingte Vermögensverluste nicht ausschließlich dem Rehabilitierungsrecht, sondern dem Vermögensgesetz zugeordnet werden sollten. Der Regelungen in § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 VwRehaG bedurfte es gleichwohl, weil das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz, anders als das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz auch willkürliche, also auch rein objektbezogene, die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen nicht berührende Vermögenseingriffe erfaßt (§ 1 Abs. 2, 2. Alt. VwRehaG), die ihrerseits bereits in den Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes fallen (vgl. insbesondere § 1 Abs. 3 VermG). Für diese Überschneidung mußte das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz eine Abgrenzung zum Vermögensgesetz vornehmen, um doppelte Ansprüche zu vermeiden. Insofern gelten die Ausschlußtatbestände in § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 VwRehaG nur für willkürliche, nicht aber auch für verfolgungsbedingte Vermögensschädigungen.

Diese Regelungen entsprechen auch dem unterschiedlichen Unrechtsgehalt von verfolgungsbedingten und rein objektbezogenen Vermögensverlusten. Das Rehabilitierungsrecht reagiert auf Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre und beseitigt mit der Rehabilitierung den politischen Makel, der dem Betroffenen unter SED-Herrschaft zugefügt worden ist. Das Vermögensrecht bezieht sich dagegen nur auf objektbezogene Vermögenszugriffe, denen gegenüber kein politischer Makel des Betroffenen zu beseitigen ist, weil er mit dieser Form des Unrechts nicht verbunden war. Es beschränkt sich damit ausschließlich auf die Gewährung eines vermögensrechtlichen Ausgleichs in Form von Rückgabe, Entschädigung oder Erlösherausgabe. Durch die bloße Anwendung des Vermögensgesetzes auch auf verfolgungsbedingte Vermögenseingriffe im Zuge der Bodenreform unterbleibt per se die Beseitigung des politischen Makels. Dies aber ist mit dem Zweck des Rehabilitierungsrechts unvereinbar.

Wegen der Ausschlußtatbestände in § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 VwRehaG führt eine gesetzwidrige Ausweitung des Geltungsbereichs der entschädigungslosen Enteignungen i.S.v. § 1 Abs. 1 lit. a VermG auch auf verfolgungsbedingte Vermögenszugriffe zudem dazu, daß die gesetzliche Anordnung der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung verfolgungsbedingter Vermögenseingriffe (§ 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 1. Alt. VwRehaG) leer läuft. Das aber widerspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der Eingriffe in Vermögenswerte in § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG als eine zentrale Form der politischen Verfolgung angegeben hat, die zu rehabilitieren ist. Dazu führt denn auch vom 3. Senat des BVerwG begründete rehabilitierungsrechtliche Rechtsprechung, die eine Rehabilitierung nur für den in § 1 Abs. 3 VwRehaG geregelten Spezialfall der Vertreibungen im Rahmen der Aktionen „Ungeziefer“ und „Kornblume“, nicht aber für den in § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG Normalfall der politischen Verfolgung zuläßt.

Diese Differenzierung führt zudem zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen, die allein von der willkürlichen Ausgestaltung des Verfolgungsgeschehens des SED-Regimes abhängt. Hat es das Verfolgungsgeschehen derart ausgestaltet, daß der Vermögenszugriff nur unbeabsichtigte Folge des Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre war, soll nach der Rechtsprechung des BVerwG eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung möglich sein, nicht aber dann, wenn mit dem Persönlichkeitseingriff auch der Zugriff auf das Vermögen des Betroffenen bezweckt war. Beide Unrechtsformen unterschieden sich in ihrem Unrechtsgehalt aber keineswegs. Die Differenzierung des BVerwG ist damit ebenso willkürlich wie die entsprechende Unrechtsausgestaltung im SED-Regime.

Nichts anderes ergibt sich auch aus den Erläuterungen der Bundesregierung zum Entwurf des Vermögensgesetzes (BT-Drucks. 11/7831). Wenn dort ausgeführt wird, bei den von § 1 Abs. 8 lit. a VermG erfaßten Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage handele es sich um entschädigungslose Enteignungen im Bereich der Industrie zugunsten der Länder der SBZ und im Bereich der Landwirtschaft im Rahmen der sog. demokratischen Bodenreform, die nicht mehr rückgängig gemacht werden sollen, dann beziehen sich auch diese Ausführungen ausschließlich auf Enteignungen, die es bei diesen Aktionen ebenfalls in erheblichem Umfang gegeben hat, nicht aber auf verfolgungsbedingte Vermögenseingriffe.